Links to published texts by Elske Rosenfeld on issues relating to the history of state-socialism and its dissidencies and dissident perspectives on current political practices.
Links zu veröffentlichten Texten von Elske Rosenfeld zur Geschichte des Staatssozialismus und seiner Dissidenzen und dissidentischen Perspektiven auf aktuelle Politiken.
Es ist mir in den letzten Jahren in Berlin ein paar mal passiert, dass mich britische oder amerikanische Touristinnen, die mich auf der Suche nach irgendetwas ansprachen, als Einheimische einordneten und sogleich nicht mehr hörten.
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Sie hörten wohl, dass ich Englisch mit ihnen sprach und sie hörten wohl auch, was ich ihnen sagte, und mussten gemerkt haben, dass sie, was ich ihnen sagte, gut verstanden. Und doch antworteten sie mir in einfachstem Englisch, sich stets vergewissernd, dass ich ihnen folgen konnte; im Zweifel ließen sie auf ein vermeintlich zu kompliziertes Wort noch eine einfachere Umschreibung folgen. Sie sprachen langsam, sehr laut, und deutlich.
Sie hörten nicht, was man hätte hören können: dass ich die englische Sprache seit vielen Jahren als adoptierte zweite Muttersprache spreche, eine Zeit lang auch als erste. Sie hörten mich nicht mehr, nachdem sie mich eingeordnet hatten, als nicht-Britin, nicht-Amerikanerin, kurz als Aus-, oder besser, ihnen fremde Inländerin – der die andere Sprache fremd sein musste.
Sie haben mich darin mit sich selbst verwechselt.
Ich bin mir sicher, obwohl ich es nicht überprüfen konnte, dass dieses Menschen waren, die nie im Leben eine zweite Sprache gelernt hatten, die bestenfalls vor vielen Jahren an einem Grundlagenkurs Französisch an der High School oder auf dem College gescheitert waren, erstarrt vor der schieren Unmöglichkeit, der unglaublichen Anmaßung, dass eine andere Sprache für jemanden, der nicht in sie hineingeboren worden war, überhaupt jemals zu begreifen sein könnte. Als ich in den 1980ern in der DDR aufwuchs, gab es so eine Ehrfurcht vor dem Englischen. „Wie man das th korrekt ausspricht, wird man, wenn man die Sprache nicht von Kind auf spricht, niemals lernen. Das schafft die erwachsene Anatomie nicht mehr. Ist der Mund einmal geformt, kann er die fremde Phonetik nicht mehr nachahmen.“
Als mich die Verhältnisse in den frühen 1990ern im neu zusammengeschlossenen Deutschland zu einer vermeintlichen Inländerin machten, erlebte ich Ähnliches, nur auf der Ebene des Sprechens, statt der Sprache.
Die Art und Weise, wie der Westen damals den Osten – quasi rückstandslos – in sich hineinzupassen gedachte, unterscheidet sich, denke ich, nur unwesentlich davon, wie den heutigen Neuankömmlingen begegnet wird. Nur scheint mir heute eine überhebliche Forderung damit verbunden. Damals war es ein überheblicher Großmut.
Man schenkte den Ostlern, sie in den Westen und in sein Sprechen aufzunehmen. Ihre Gegenleistung war nicht, ein Sprechen aufzugeben, an dem sie möglicherweise hätten festhalten wollen. Ihre Gegenleistung war, dass sie qua ihres vermeintlich enthusiastischen Ankommens im Westen schon bewiesen hatten, dass sie ihr Sprechen abzulegen nicht nur bereit waren, sondern, anstelle eines eigenen Sprechens prinzipiell nur eine Leerstelle besaßen, oder bestenfalls etwas, über dessen fundamentale Nutzlosigkeit sie sich mit ihren Gastgebern, den Inländern, bereits im Einvernehmen befanden. Von diesen Neuankömmlingen war kein Widerstand zu erwarten, sondern ein dankbares und williges sich Einfügen.
Boris Buden beschreibt in Zone des Übergangs wie sich die Westler am 9. November 1989 an der Euphorie der Ostler beim Überqueren der Mauer berauschen. Im Glück der Ostler beim Anblick des Westens, erkannten sie einen Glauben an das Versprechen des eigenen Systems, der ihnen selbst seit langem fehlte. In den Blicken der Neuankommenden von heute erblickt der Westen keine Bewunderung, sondern Begehren: den unbedingten Willen, Dinge an sich zu reißen, von denen man selbst immer schon zu wenig hat.
Der Osten war damals gerade durch die Euphorie einer Revolution gegangen. Er hatte eine Art des Sprechens, die Jahrzehnte zuvor mit einem Versprechen einhergegangen war, mit ihrer Glaubwürdigkeit auch jeden Anschein von Natürlichkeit verlieren sehen. Zwischen den Zeilen lesen, eine doppelte Sprache sprechen waren die Soft Skills eines Ostens, in dem die Sprache und das Sprechen im Herbst 1989 schließlich zum Medium und Schauplatz einer unerhörten, kurzzeitigen Selbstermächtigung geworden waren. Mit diesen Erfahrungen kamen die Ostler in den Westen.
Bei meiner ersten Westreise erklärte ein Westverwandter, wie dreist es von den schwarzen Südafrikanern sei, sich plötzlich selber regieren zu wollen. („…gerade erst aus dem Busch gekommen“) Der Verwandte war Manager bei einem Elektronikkonzern in Braunschweig und seine Wände waren mit den Fellen und Köpfen der Keiler behangen, die er in seiner Freizeit selbst erlegt hatte. Bei meiner zweiten Westreise saßen wir bei Freunden der Familie in Düsseldorf am Fernseher und sahen zu, wie die Rumänen die Ceaușescus exekutierten. Danach gingen wir bei einem Ausflug nach Bonn am Bundestag spazieren. Alles sah exakt so aus, wie wir es aus den Westnachrichten kannten. Die dritte Reise war eine Klassenfahrt nach Bamberg, auf Einladung des Lion’s Clubs. Der Vorstand der örtlichen Sparkasse berichtete uns von den Vorzügen der firmeneigenen Sozialversorgung. Das ganze Dutzend Herren vom Vorstand war vor den Kopf gestoßen, als eine von uns fragte, warum es denn im Vorstand keine Frauen gäbe. Das war die Zeit, in der wir in der Schule mit unseren Lehrern darüber redeten, aus welchen Gründen sie in die Partei eingetreten waren, und ob es besser sei, nun konsequenterweise in selbiger zu bleiben oder aus ihr auszutreten. Und ob sie meinten, damit Schuld auf sich geladen zu haben. Und wie man mit dieser einen Umgang finden könnte. Der neue, westdeutsche Bürgermeister lud unsere Klasse zu einem Sektempfang ins Rathaus ein, zur Eröffnung einer Ausstellung, die uns auf Bildtafeln erklärte, warum rote und braune Diktatur im Grunde genau das Gleiche seien. Wir nahmen den Sekt und fuhren Paternoster. Der Westen war uns nicht fremd. Er kam uns nur befremdlich vor.
Wenn man als Fremde in etwas ankommt, dass sich als das Normale, das Natürliche setzt, weil es seine eigene Normalität niemals in Frage stellen gemusst hat, ist man im Vorteil. Man kann sehen, wie man als das Andere gesehen wird und wie dieses Anderssein beim Inländer nie das eigene Anderssein, sondern immer nur das eigene Normalsein ins Bewusstsein ruft. Nicht die Kontingenz, sondern das vollständige Einssein mit der Muttersprache. Man sieht, wie das Gegenüber einen nicht sieht, und wie das Gegenüber nicht sieht, dass man auch dieses Nicht-gesehen-Werden sehen kann, und verstehen. Für den Neuankömmling, sind die Inländer unschuldig und transparent wie Kinder. Die „Unschuld in den Gesichtern der Passanten westdeutscher Fußgängerzonen“, hieß das in etwa bei Heiner Müller.
Dieser Text ist auf Einladung des wunderbaren Projekts „Man schenkt keinen Hund“* enstanden, das Unterrichsmaterialien der Deutschkurse für Migrant*innen auf die dort vermittelten Integrationskonzepte befragt. „Man schenkt keinen Hund“ (Christine Lemke in Kollaboration mit Scriptings) versucht über unterschiedliche Zugänge und künstlerische / theoretische Strategien die identitären Diskurse um das Konzept „Integration“ zu befragen und diese hinsichtlich ihrer Ausprägungen in der inhaltlichen, ikonographischen und pädagogischen Gestaltung der Lehrmaterialien für Integrationskurse zu untersuchen. Der Reader zum Projekt, in dem auch mein Text enthalten sein wird, erscheint im Herbst 2018.
Mehr Infos: http://www.scriptings.net/index.php/man-schenkt-keinen-hund/about/
Herr Ide, Ihre Selbstgerechtigkeit ist so beeindruckend wie erschütternd.
Der Tagesspiegel und Sie als Autor wurden nicht angegriffen, weil Sie “zuerst und intensiv die Frage thematisiert haben, ob Holm als Staatssekretär glaubwürdig ist”.
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Vielmehr wurden konkrete Formulierungen hinterfragt, die Leser*innen unvereinbar mit einem Mindestmaß an journalistischer Ethik erschienen:
Bereits in Ihrem ersten Artikel zum Thema vom 13.12.16 setzten Sie die Umsetzung des von einer demokratisch gewählten Berliner Landesregierung geschaffenen Mittels des Zweckentfremdungsverbots mit Stasimethoden gleich. Zitat: “Das Vorkaufsrecht auf Wohnhäuser, die Regulierung von Sanierungsumfang und Miethöhe in Milieuschutzgebieten sowie die Gesetzgebung gegen die Zweckentfremdung. Wenn nur genügend offizielle und inoffizielle Mitarbeiter zum verschärften Überwachen und Strafen bereit stehen, könnte so mancher in der Ferienwohnungsindustrie bald aufheulen.” http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/berlins-neuer-staatssekretaer-und-die-stasi-was-hat-andrej-holm-getan-und-was-hat-er-dazu-gesagt/14969070.html
Diese implizierte Gleichsetzung der Umsetzung eines Gesetzes mit Stasimethoden offenbart nicht nur ein recht fragwürdiges Demokratieverständnis, sondern verharmlost zudem das tatsächliche Wirken der Stasi und dessen verheerende Folgen.
Eine in Ihrem Artikel gepriesene Einsicht in eigene Fehler würde Ihnen, nicht zu letzt angesichts dieses journalistischen Fehltritts, selbst gut zu Gesicht stehen.
Auch Ihre im selben Artikel geäußerte Einschätzung, der staatstragende Antikapitalismus der DDR fände seine Fortsetzung im heutigen politischen Engagement der Mieterinitiativen beleidigt nicht nur die vielen, meist unbezahlt im Interesse der mehrheitlich zur Miete wohnenden Bewohner*innen Berlins Engagierten. Sie verunglimpft auch jene Dissident*innen, Umweltschützer- und Friedens- und Frauenbewegten, die bis 1989 unter Gefahr für Leib und Seele Widerstand gegen das SED-Regime leisteten und sich für einen Demokratisierung des DDR-Sozialismus einsetzten, nur um nach der Revolution wieder auf der falschen Seite der Macht zu landen. Nämlich in der Regel nicht in den Schreibstuben der etablierten Zeitungen.
Mit seinem Engagement beim aus dem im DDR-Widerstand entstandenen telegraph (ehemals Umweltblätter/ http://umwelt-bibliothek.de/umweltblaetter.html) suchte sich Holm nach 1990 ein Betätigungsfeld, in dem er sich durchaus auf kritische Fragen zu seiner Biographie einstellen musste. Andere haben es sich einfacher gemacht und sind im Dunstkreis der post-SED verblieben, wo es sich schon bald wieder Karriere machen ließ.
Diese Art historisch informierter Differenzierung und Kontextualisierung würde man sich von qualitätsvollem Journalismus wünschen.
In diesem Sinne sei allen, die sich für die tatsächlichen Fakten der “Causa Holm” interessieren, das auf der Seite “Wir bleiben alle” veröffentlichte FAQ empfohlen, das einigen der sich in der Berichterstattung des vergangenen Winters verselbstständigen Formulierungen und Darstellungen anhand der der vorliegenden Originaldokumente, sowie rechtlichen Einschätzungen auf den Zahn fühlt, darunter den Fragen:
– War Andrej Holm hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter?
– Hat Holm falsche Angaben gemacht?
– Hat Andrej Holm seinen Status als Offiziersschüler beim MfS im Fragebogen der HU im Jahr 2005 verschleiert?
[Dieser Kommentar wurde am 4.12.2017 als Reaktion auf einen Artikel im Tagesspiegel geschrieben und dort in leicht geänderter Form in den Kommentarspalten geposted.]
Am 23. November 2017 erscheint unsere Publikation: Zur Verfassung – Recherchen, Dokumente 1989-2017, Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt #5 (Elske Rosenfeld, Kerstin Meyer, Joerg Franzbecker).
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Wir freuen uns, das Heft am
25.11.2017, 18 Uhr im Maxim Gorki Theater/ Herbstsalon Palais am Festungsgraben Am Festungsgraben 1, Berlin
vorstellen zu können.
Zum Heft:
1990 galt in Ost-Berlin für ein halbes Jahr eine Verfassung, die weitreichende politische Bürgerrechte enthielt. Diese waren aus den Erfahrungen der Revolution 1989 von den Bürgerbewegungen und der Opposition am Zentralen Runden Tisch der DDR formuliert worden. Die Verankerung der erweiterten politischen Rechte in der gemeinsamen Landesverfassung scheiterte jedoch im ersten Gesamtberliner Abgeordnetenhaus – einzig die Volksgesetzgebung wurde übernommen. Damit ist es in Berlin möglich, Gesetze durch Volksentscheid und ohne das Parlament direkt zu beschließen. Das gelang bisher mit den Volksentscheiden zur Offenlegung der Wasserverträge und zum Erhalt des Tempelhofer Feldes. Für letzteren stimmte im Mai 2014 eine Mehrheit in allen Bezirken. Dennoch versuchten die Regierungsparteien, das Tempelhofer Feld-Gesetz wieder zu kippen. In Reaktion darauf wurde 2016 das Volksbegehren Volksentscheid Retten eingeleitet, um die Volksgesetzgebung in der Verfassung zu stärken. Beide Vorgänge, 1989/90 und 2016, hatten zum Ziel, dass alle Berliner*innen an der Ausgestaltung der Verfassung teilhaben können. Sie bilden die Klammer für erschienene Heft.
Zur Verfassung – Recherchen, Dokumente 1989–2017 wurde von der Berliner Landeszentrale für politische Bildung gefördert.
Die Publikation ist die dritte von drei Berliner Heften, die im Rahmen des nGbK-Projektes Ene Mene Muh und welche Stadt willst Du? Beiträge zum Berliner Wahlherbst 2016 entstehen.
96 Seiten, mit einer Bildstrecke von Elske Rosenfeld aus Videostills von Klaus Freymuth Elske Rosenfeld, Kerstin Meyer, Joerg Franzbecker (Hg.), November 2017 7€ ISBN 978-3-946674-04-7
This text is part of a body of textual and artistic research into how political change or upheaval affects and manifests in and between bodies, and how it persists there after such events are declared as irrelevant or failed. It looks at “standing still” as a gesture that thwarts a concept of emancipation as linear progress in time, shared by the capitalist and state-socialist modernities of the twentieth century. In the state-socialist countries of the late 1980s, a sense of stasis engendered aesthetic-political practices of slowness or standstill in which the unity of artist and worker, demanded by Socialist Realism and coveted by the avant-gardes, was seemingly achieved–but at the expense of a future that could be known. Untethered from such a future, the revolutions from 1989 onwards, too, have become practices of being together in standing still. At Gezi, the Standing Man slotted his gesture with utter precision into the context of an existing present that rendered it politically meaningful. But “to stand still” is not the opposite of “to move”. Contemporary dance (and physiological observation) reveals the two as continuous–their difference a question of size or scale. In micro-movement, that is, in vibration, a space opens between body and subjectivity. From within this gap, the potential to act and be differently becomes the property of each moment of even the most un-revolutionary everyday.
Nach der Bestellung von Andrej Holm als Staatssekretär für Wohnen in Berlin wurde intensiv über seine fünfmonatige Tätigkeit in den Jahren 1989/90 beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seinen Umgang damit diskutiert. Ein von ihm im Zuge seiner Anstellung an der Humboldt-Universität zu Berlin vorgeblich falsch ausgefüllter Fragebogen ist zum Gegenstand einer zum Teil aufgeregt geführten Debatte in Tageszeitungen, Politik und sozialen Medien geworden.
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In diesen Debatten haben viele Vermutungen, Behauptungen und Vorwürfe eine Eigendynamik erhalten und sich zu dem Bild verfestigt, Andrej Holm sei nicht offen mit seiner Stasivergangenheit umgegangen. Von Lügen, arglistigen Täuschungen und Erinnerungslücken ist die Rede. Doch stimmt das überhaupt?
Ein F.A.Q. der AG #holmbleibt-Recherche (Kerstin Meyer, Elske Rosenfeld, Enrico Schönberg)
Text mit und für Bizim Kiez zur “Causa Holm” vom 20.12.2016
Bizim Kiez hat sich als Mitunterzeichner des Offenen Briefs der stadtpolitischen Initiativen bereits öffentlich mit Andrej Holm solidarisiert. Hier haben einige von uns noch einmal ein paar der Argumente, die gegen Holm vorgebracht werden, unter die Lupe genommen, um aufzuzeigen, mit welchen rhetorischen und ideologischen Mittel hier vorgegangen wird und wer sich in den Anfeindungen der letzten Tage durch besonders extreme Zuspitzungen hervorgetan hat. Gleichzeitig eine Art Presseschau/ aktueller Stand der „Debatte“:
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Die Ernennung Andrej Holms zum Staatsekretär für Wohnen hat das Potential, eine neue Etappe in der Berliner Mietenpolitik einzuleiten. Eine solche Neuorientierung könnte möglicherweise tatsächlich endlich (!) nicht nur für die immobilienwirtschaftlichen Profiteure gefährlich werden, sondern auch einen Bruch mit den bisherigen, von Holm wiederholt kritisierten, Politiken der Berliner Fraktionen bedeuten. Doch bevor Andrej Holm die Gelegenheit bekommt, sich an den bürokratischen und realpolitischen Gemengelagen der Berliner Stadtpolitik die Zähne auszubeißen – im besten Falle nicht ohne positive Effekte für die Lage der ärmeren Berlinerinnen –, muss er nun zunächst den Hürdenlauf durch den üblichen, fast schon reflexhaft errichteten Parcours der jüngeren deutschen Geschichtsaufarbeitung absolvieren – mit ungewissem Ausgang. In der Presse und von Politiker*innen verschiedener Parteien werden vermeintliche wie reale, nachvollziehbare Befindlichkeiten von Opfern des DDR-Staatsterrors und Stasiwillkür ins Feld geführt, um ihn für ein solches Amt als untragbar zu präsentieren und eine Zurücknahme dieser Personalentscheidung zu erzwingen.
Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte hat in den letzten 26 Jahren immer wieder für eine Generalabrechnung mit jeglicher Art linker Praxen oder Positionen herhalten müssen. (Dass sie heute dafür herhalten kann, ist nicht zuletzt leider auch Folge des weitgehenden Desinteresses einer westdeutschen Linken, die das Feld einer ernsthaften, kritischen Auseinandersetzung mit dem Versagen des Staatssozialismus nach und vor 1989 nahezu kampflos der Rechten überlassen hat… das aber nur am Rande.) Entlang jener ideologischen Motive der DDR-Aufarbeitung werden Holm nun also wahlweise oder auch gleichzeitig drei verschiedene Vergehen vorgeworfen, durch die er sich für ein derartiges Amt disqualifiziert habe, und zwar: 1/sein tatsächliches Verhalten 1989, 2/ sein heutiger Umgang mit seiner Vergangenheit und, 3/ sein vermeintlich fehlender Gesinnungswandel seit dem Ende der DDR.
Punkt 2 ist, zumindest scheinbar, etwas komplexer. Holm hat schon lange ohne Beschönigung und ohne Not oder äußeren Druck über seine MfS-Mitarbeit gesprochen. (vergleiche hierzu das Statement seiner telegraph-kollegen: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/) Vor einer breiteren Öffentlichkeit äußerte er sich hierzu 2007 in einem sehr lesenswerten taz-Interview, u.a. mit Dirk Teschner (http://m.taz.de/!5189906;m/). Nach der Offenlegung seiner Kaderakte wird ihm nun vorgeworfen, bei seiner Selbstauskunft vor seiner Anstellung an der Humboldt-Uni seine MfS-Mitarbeit unzureichend genau bzw. falsch angegeben zu haben. Er hatte hier unter der Rubrik Wehrpflicht seine Ausbildung beim als solches bekannten Stasi-Wachregiment “Feliks Dzierzynski” aufgelistet, eine Stasi-Mitarbeit aber verneint und auf den Eintrag zur Wehrpflicht verwiesen. (siehe dazu Andrej Holms Richtigstellung vom 14.12. 2016, z.B.: http://www.berliner-zeitung.de/25294840 und https://www.taz.de/Andrej-Holms-Stasi-Vergangenhe…/!5364040/). Vorgeworfen wird ihm nun genau genommen, die Ausbildung bei dem Stasi-Wachregiment nicht konform mit der stasiinternen Einordnung seines Dienstverhältnisses bereits als Stasi-Mitarbeit eingestuft zu haben (von der er damals durchaus nicht notgedrungen Kenntnis gehabt haben muss). (http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html). Tatsächlich kommt der Landesbeauftragte des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in einem Tätigkeitsbericht von 2000 aber zu folgendem Urteil: „Der allgemeine Wehrdienst im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ war als Dienst auf Zeit abzuleisten. Während dieser Zeit waren die Wehrdienstleistenden als hauptamtliche Mitarbeiter des MfS registriert, weil das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ eine Struktureinheit des MfS war. … Vor diesem Hintergrund vertritt der Landesbeauftragte die Auffassung, dass diejenigen, die lediglich ihren Wehrdienst im Wachregiment ‚Feliks Dzierzynski’ abgeleistet haben, keine wahrheitswidrige Aussage machen, wenn sie die Frage nach einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS im Zusammenhang mit einer Einstellung im öffentlichen Dienst verneinen.“ (http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/2934/tätigkeitsbericht-2000-des-landesbeauftragten-des-freistaats-thüringen-für-die-unterlagen-des-staatssicherheitsdienstes-der-ehemaligen-ddr-gemäß.pdf)
Das ist eindeutig.
Aufschlussreich und zugleich hochgradig ideologisch wird es bei Anschuldigung 3: Robert Ide setzt im Tagesspiegel gleich mal ohne jeglichen Anflug von Scham Anti-Gentrifizierungspolitik (inklusive bestehender Beschlüsse einer demokratisch gewählten Berliner Stadtregierung zur Zweckentfremdung) mit Stasi/Spitzelmethoden gleich: “Wenn nur genügend offiziellen und inoffizielle Mitarbeiter zum verschärften Überwachen und Strafen bereit stehen, könnte so mancher in der Ferienwohnungsindustrie bald aufheulen.”
Über die Person Holm als „Hausbesetzender Investorenhasser mit STASI-Vorgeschichte” (ibid.) wird eine Kontinuität zwischen Stasiterror und DDR-Unrecht und heutiger linker politischer Arbeit herbeikonstruiert, die von den vielen linken, bzw. jenen links gebliebenen unter den Dissident*innen, Umwelt- und Friedensaktivist*innen der DDR als ein Schlag ins Gesicht empfunden werden muss, von denen sich viele damals wie heute ein mutiges politisches Leben auf der immer wieder, immer noch falschen Seite der politischen Machtverhältnisse zugemutet haben. Eine solche konstruierte Kontinuität wird auch Holms Lebenslauf nicht gerecht, der sich nach 1990 in den bürgerbewegten Kontexten der Vereinigten Linken und des telegraph sicher einige Fragen zu seiner Biographie hat stellen lassen müssen (und, wie es in einer akutellen Stellungnahme des telegraph heisst, auch stellen hat: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/).
Hierzu wäre noch anzumerken, dass die CDU selbst, aus deren Reihen wenig überraschenderweise ein paar der lautesten Anfeindungen Holms kommen, im Umgang mit komplizierten DDR-Biografien der eigenen Mitglieder (wie auch der unrühmlichen Rolle der Ost-CDU als Teil des DDR-Staatsapparats) interessanterweise sehr viel mehr Milde walten lässt. Vorwürfe gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich wurden 2008 z.B. vom Regierungssprecher als “eine gezielte Diskreditierung Einzelner” verurteilt. (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/stanislaw-tillichs-ddr-biografie-stueck-fuer-stueck-kommt-das-gedaechtnis-zurueck-a-592657.html). Wolfgang Schäuble machte im selben Jahr Wahlkampf für einen ehemaligen hochrangigen DDR-Grenzoffizier, der Art und Inhalte seines Dienstverhältnisses zunächst durch unspezifische Angaben verschleiert hatte. (https://www.welt.de/politik/article1619145/Schaeuble-macht-Wahlkampf-fuer-DDR-Grenzoffizier.html)
Dass Andrej Holm sich im September 1989 für eine Laufbahn beim MfS entschieden hat, ist für viele, vor allem in der DDR-Aufgewachsene, schwer nachvollziehbar und wird das auch bleiben. Dennoch: Holm hat sich in der Vergangenheit und in den letzten Tagen auf nachvollziehbare, selbstkritische, sachliche und seinen Kritiker*innen gegenüber äußerst respektvolle Weise (siehe z.B.: http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html, oder auch taz 2007) zu seiner DDR-Vergangenheit geäußert und dafür Verantwortung übernommen. Die Teils mit äußerst unlauteren Mitteln und ideologischen Kampfbegriffen geführte Kampagne gegen ihn lässt sowohl den nötigen Respekt gegenüber den gern zitierten Opfern des DDR-Unrechts (die hier wieder einmal ungefragt und oft entgegen ihren eigenen politischen Ansichten zu dem Thema instrumentalisiert werden) vermissen, als auch jede Verhältnismäßigkeit in ihren Verurteilungen und den daraus abgeleiteten Konsequenzen.
Es bleibt zu hoffen, dass Holm in den kommenden Tagen und Wochen nicht die Gelegenheit entzogen werden wird, sich – anstatt an einer 26 Jahre zurückliegenden Entscheidung – anhand seines nun anstehenden Handelns als Staatsekretär für Wohnen messen zu lassen. Alles andere wäre ein Sieg der Ideologen und Lobbyisten in der sich in Berlin seit einiger Zeit vollziehenden wohnungs- und stadtpolitischen Katastrophe.