»Revolutionäre Gesten« Sprache finden durch Protest und künstlerische Praxis

Ein Gespräch zwischen Elske Rosenfeld und Burak Üzümkesici

Burak Üzümkesici sprach mit Elske Rosenfeld über künstlerische Zugänge zu »revolutionären Gesten« und »militanten Bildern«, über politische Bühnen, die körperliche Erfahrung gesellschaftlicher Umbrüche und deren Scheitern.[1]

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Aus dem Englischen übersetzt von Marie Egger.

Erschien im November 2024 in: Melanie Franke (Hg.) “Selbsterzählungen und Umbruchspuren im Œuvre von Künstler:innen aus der DDR”, permant Verlag

Burak Üzümkesici: Elske, in deiner künstlerischen Praxis beschäftigst du dich mit politischer Dissidenz und untersuchst, wie sich historische Ereignisse durch das, was du »revolutionäre Gesten« nennst, verkörpern. Dein künstlerisches Forschungsprojekt Archive of Gestures erkundet, wie wir uns an soziale Bewegungen und an historische Wendepunkte erinnern und ihnen Sinn zu geben versuchen. Dein Material stammt von verschiedenen historischen Ereignissen: aus den letzten Tagen der DDR 1989/90, von den Gezi-Protesten 2013 oder vom Arabischen Frühling. Du zeigst, dass es eine Grammatik für die (Körper-)Sprache solcher revolutionären Ereignisse gibt, von der wir (noch) nicht wissen, wie sie zu sprechen oder was mit dem Vokabular dieser Sprache anzufangen ist.

Auf der Berlin Biennale 2022 hast du vier ortsspezifische Installationen aus deinem Langzeitprojekt ausgestellt, an dem du seit 2013 arbeitest: In der Videoinstallation Speaking (Statements for the Future) von 2019/22 performst du Erklärungen, Manifeste und Forderungen von politischen Persönlichkeiten und Gruppen während des Aufbruchs 1989/90 in der DDR (Abb. 1). Die Videoinstallation Interrupting (A bit of a Complex Situation) von 2014 ist ein Close-Reading einer Szene aus derselben Zeit, in der eine Versammlung von Vertreter:innen des Staates und neuer politischer Gruppen der DDR am sogenannten Runden Tisch von den Geräuschen einer am Versammlungsort vorbeiziehenden Demonstration unterbrochen wird (Abb. 2 und 3). Circling (Another Round) von 2021 ist eine Videoinstallation, die zeigt, wie du den Tahrir-Platz nach dem Ende einer Protestwelle mit einer Kamera umkreist (Abb. 4 und 5). Du hast das Video spontan während eines Besuchs in Kairo im Jahr 2012 aufgenommen, man hört dich darin mit einer Freundin aus der Stadt über diesen historischen Moment – das Ende einer Revolution – sprechen. Die ortsspezifische Videoinstallation Standing Still (Standing Man/Centers) von 2021 lädt dazu ein, vor oder hinter dem »Standing Man« der Gezi-Park-Proteste in Istanbul 2013 zu stehen (Abb. 6). Was war der Ausgangspunkt für diese komplexe Arbeit, und wie wirkt das Vokabular dieser Revolutionen heute auf dich?

Elske Rosenfeld: Das Projekt begleitet mich schon lange. 2013 habe ich unter dem Titel A Vocabulary of Revolutionary Gestures meine künstlerische Forschung erstmals in einer Reihe von Gesten, Kunstwerken und Texten formalisiert. Mein Interesse an Revolutionen, insbesondere an dem Umbruch von 1989/90, liegt aber in meiner Biografie begründet. Ich habe 1989 als Schülerin an den Protesten in meiner Heimatstadt Halle teilgenommen. Diese Zeit von den ersten Demonstrationen im Oktober 1989 bis zur sogenannten deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 hat mich, wie so viele, politisch nachhaltig geprägt. Ich sah mich als Teil der kollektiven Emanzipation – einer Demokratisierung von unten –, die wir damals gemeinsam erprobten. Ich nahm in der Schule und in anderen Gruppen und Zusammenhägen an Diskussionen teil, in denen besprochen wurde, wie eine gerechte, demokratische und ökologische Gesellschaft organisiert werden könnte. Umso mehr enttäuschte es mich, dass diese machtvolle Aneignung des kollektiven Lebens mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik abrupt abgeschnitten wurde. Die Übertragung der Revolution in ein konservatives und nationalistisches Projekt beendete nicht nur die Praktiken der kollektiven Gestaltung neuer politischer Formen, die ich erlebt hatte, sondern löschte diese im selben Moment auch wieder aus dem Bereich des politisch Vorstellbaren. Die Diskrepanz zwischen der offiziellen Erzählung dieser Revolution als Wiederherstellung der nationalen Einheit, als Triumph des Kapitalismus oder der liberalen Demokratie, und der Art, wie ich diese Revolution als Protagonistin erlebt und mitgestaltet habe, empfinde ich heute als Sprachlosigkeit.

Diese Leerstelle ist für mich aber auch ein starker Impuls für mein Denken und Schaffen. Ich nähere mich ihr durch den Begriff der Geste an – das heißt, durch Figuren, die somatische, geometrische, philosophische und affektive Aspekte der Revolution hervorheben und miteinander verbinden. Dieses Vorgehen beruht auf mehreren Beobachtungen: Zum einen zeigte sich, wann immer ich versuchte, mit anderen Protagonist:innen über die Ereignisse zu sprechen, ein gewisses Unvermögen, unsere Erfahrung, aber auch unsere damaligen Hoffnungen und Vorstellungen in Worte zu fassen. So kommt es, dass heute viele Protagonist:innen all jene Aspekte des Erlebten, die sich in der gängigen Erzählung der Ereignisse oder innerhalb unseres Verständnisses von Politik und Revolution nicht fassen lassen, als »naiv«, »utopisch«, oder »immer schon zum Scheitern verurteilt« abwerten. Gleichzeitig kommunizierten unsere Körper aber im Gespräch außerhalb der Sprache all die Dinge, die sich nicht erklären oder begründen lassen: die Aufregung über das, was damals möglich schien, die Trauer und Wut über den Verlust dieser damals kurzzeitig durchaus greifbar gewordenen, neuen politischen Möglichkeiten. In den Körpern meiner Gesprächspartner:innen sind diese Affekte noch quicklebendig, als wäre seit 1990 keine Zeit vergangen.

Einen weiteren Impuls erhielt ich ab 2011 durch die neue Welle globaler Revolutionen, angefangen mit dem Arabischen Frühling und der Occupy-Bewegung. Während ich diese Ereignisse in den Nachrichten und in den Facebook-Feeds meiner ägyptischen Freund:innen mitverfolgte, kamen meine eigenen Erfahrungen wieder hoch; ich fühlte mich – im positiven Sinn – getriggert. Ich habe damals viel mit Freund:innen aus Kairo und während der Gezi-Proteste 2013 mit Freund:innen aus Istanbul gesprochen und später auch mit Menschen, die an den Aufständen in der Ukraine und in Belarus beteiligt waren. Aus den überraschenden Resonanzen zwischen dem, was wir in verschiedenen Kontexten über Zeiten und Orte hinweg erlebt haben, versuche ich also, ein gemeinsames gestisches Vokabular zu entwickeln.

Die Gesten dieses Vokabulars sind es, die zwischen den verschiedenen historischen Ereignissen vermitteln. Sie ermöglichen es mir, über den Umbruch von 1989/90 auch anhand von Bildern aus Kairo, Istanbul oder Minsk nachzudenken. Ich sammle also in Berichten und Dokumenten solcher Ereignisse Bilder und Motive – zum Beispiel bestimmte physische, geometrische und zeitliche Figuren und körperliche Bewegungen –, die sich in den unterschiedlichen Kontexten wiederholen. Dieses Material ist der Ausgangspunkt für meine Arbeit am Archive of Gestures.

Burak Üzümkesici: Ich würde gern ein Beispiel aus diesem Archiv aufgreifen, um deine Idee von der Geste als Scharnier zwischen verschiedenen revolutionären Ereignissen zu vertiefen, die Arbeit Standing Still (Standing Man/Centers) von 2021. Das Bild einer stehenden Person kann im Kontext von Revolutionen als Ausdruck politischer Handlungsmacht gesehen werden. In den letzten drei Jahrzehnten haben wir die politische Kraft des Stillstehens immer wieder beobachten können, angefangen mit dem unbekannten »Tank Man«, der sich 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor einen Panzer stellte, über Rachel Corrie, die sich 2003 in Gaza israelischen Streitkräften entgegenstellte, und den »Standing Man« Erdem Gündüz bei den Gezi-Protesten in Istanbul 2013 bis hin zu Vida Movaheds Kopftuchprotest 2022 im Iran. In ihrem vielgelesenen Text hat die iranische Autorin L. die stille Aktion von Vida Movahed mit den Frauen, die Videos drehten, um ihre Empörung verbal zu verbreiten, verglichen und dabei die große Wirkmacht der Zirkulation von Vidas fotografischem Bild hervorgehoben. Für sie war das Bild dieser stehenden Person »a transition from the narration of an everyday circumstance to the creation of a historic situation«.[2] L. schreibt, das Bild verkörpere den Stillstand als Versprechen, und sie erörtert, wie dieser Stillstand in die Mobilisierung von Menschen mündet.

Elske Rosenfeld: Sie spricht in ihrem Text nicht nur über das Stehenbleiben und das Anhalten der Zeit in einem Bild, sondern auch allgemein über die Beziehung zwischen Protest und Bild und über Nachahmung und Wiederholung. Aus meiner Sicht werden die Posen der iranischen Aktivist:innen durch ihren Entstehungskontext und durch ihre mediale Verbreitung zu militanten Bildern. Bei Fotos wie denen von den protestierenden iranischen Frauen, von Erdem Gündüz, Rachel Corrie oder dem »Tank Man« geht es nicht darum, die Revolte abzubilden oder zu dokumentieren, sondern darum, sie am Laufen zu halten. Dieses Phänomen des Gefrierens einer Pose zu einem militanten Bild lässt sich bei vielen Aufständen beobachten.

In meiner Arbeit untersuche ich auch, wie diese Art Bilder 1989/90 entstand und eingesetzt wurde. Das Filmmaterial vom ersten Treffen des Zentralen Runden Tischs in Ost-Berlin, das ich in meiner Arbeit Interrupting (A bit of a Complex Situation) von 2014 verwende, würde ich sogar als Produkt einer militanten Filmpraxis bezeichnen. Der unabhängige Dokumentarfilmer Klaus Freymuth war damals als Mitglied des Neuen Forums bei dem Treffen anwesend und wurde von den Beteiligten spontan gebeten, es mit seiner Kamera mitzuschneiden. Er positionierte sich und seine Kamera dann aber nicht an einem Punkt, von dem aus er eine möglichst professionelle, »neutrale« Aufnahme hätte machen können, sondern er stellte sich auf die Seite des Tisches, der er sich politisch zugehörig fühlte. Durch diese Positionierung der Kamera sind die Gesichter und Körper der Oppositionellen nicht von vorn, sondern von der Seite beziehungsweise von hinten zu sehen. Die Körper sind hintereinander aufgereiht, verdecken sich gegenseitig oder verschmelzen zu einem Körper mit mehreren Köpfen oder Gliedmaßen. Der zersplitterte und verschmolzene »kollektive Körper«, den diese Kameraposition erzeugt, ist ein Aspekt, der mich in meiner Bearbeitung interessiert hat.

Burak Üzümkesici: Ich komme noch einmal auf deine Arbeit Standing Still (Standing Man/Centers) zurück, da wir anhand ihrer gut über eine bestimmte Spannung im menschlichen Körper während politischer Aufstände sprechen können: Zwei Tage nach der gewaltsamen Räumung des Gezi-Parks in Istanbul durch die Polizei protestierte am 17. Juni 2013 der Tänzer und Choreograf Erdem Gündüz, indem er acht Stunden lang regungslos auf dem Taksim-Platz stillstand. Die Polizei wusste nicht, wie sie auf diese Art des stillen und friedlichen Protestes reagieren sollte. Man empfand es als einen – wenn auch kaum greifbaren – Angriff auf die Staatsgewalt, was noch dadurch verstärkt wurde, dass die Menschen in den folgenden Tagen auf Plätzen in der ganzen Türkei stillstanden. Deine Arbeit platzierte die Geste des duran adam, wie es auf Türkisch heißt, während der Berlin Biennale an einem ebenso zentralen wie historischen Ort, im Foyer der Akademie der Künste am Pariser Platz, sodass im Hintergrund durch die Glasfassade hindurch das Brandenburger Tor zu sehen war (Abb. 4). An einer Metallskulptur befestigt zeigten zwei Monitore Erdem Gündüz’ Oberkörper einmal von vorn und einmal von hinten – sodass Besucher:innen ihm beim Eintreten in die Ausstellung frontal ins Gesicht schauten. So entstand eine digitale Skulptur seines widerständigen Aktes. Über Kopfhörer waren Geräusche aus Videos von Gündüz’ Protest auf dem Taksim-Platz zu hören, die du mit dem Soundtrack einer Videoarbeit von Vito Acconci, Centers (1971), hinterlegt hast. Acconci steht in jenem Video 23 Minuten lang still und richtet seinen Zeigefinger auf die Kamera. Man hört, wie sein Atem dabei mit der Zeit vor Anstrengung immer lauter wird. Beide Performances, auf die sich deine Arbeit bezieht, die von Gündüz und die von Acconci, spielen mit der Beziehung zwischen Bewegung und Stillstand. Ihre Zeitlichkeit fordert unsere Vorstellungen von Fortschritt, Veränderung und Transformation heraus, die wir normalerweise mit Revolutionen verbinden. Es scheint nichts zu passieren. Die Spannung, die aus dieser enttäuschten Erwartung entsteht, scheint sich auch in dem gezeigten Körper zu verdichten, seinen Muskeln, Nerven und Gelenken. Stillstand beschreibt hier also einen Konflikt: zwischen der inneren Dynamik des Körpers und der Dynamik zwischen dem Körper und seinem Außen.

Elske Rosenfeld: Meine Arbeit mit der Geste von Erdem Gündüz unterscheidet sich von meinen anderen aus gefundenem Filmmaterial produzierten Gesten dadurch, dass sie in einen Dialog mit einem anderen Künstler beziehungsweise mit zwei anderen Künstlern tritt. Gündüz’ Geste ist sowohl ein Kunstwerk als auch eine Form des Protests. Mich interessiert, dass er eine temporäre Skulptur herstellt; eine nichtheroische Skulptur, die aus seinem lebenden Körper besteht, was sie unbeständig und verletzlich macht.

Der Ton stammt von Videoaufnahmen von Gündüz’ polizeilicher Durchsuchung. Die Polizisten berühren Gündüz am ganzen Körper, was sehr gewalttätig ist. In meiner Version wird Gündüz’ Geste dadurch, dass ich sie in eine aufrechte Metallstruktur integriere, noch ein wenig skulpturaler. Sie wird eine Art Denkmal. Gleichwohl ist sie auch hier nicht vollkommen statisch. Indem ich das Foto von Gündüz mit einer frei gehaltenen Handykamera abfilmte, versetzte ich, insofern, als meine Hand mit der Zeit immer heftiger zitterte, seinen Körper wieder in Bewegung. So wird Gündüz’ Stillstand als die Vielzahl von Mikrobewegungen erkenntlich, die er eigentlich, physiologisch betrachtet, ist: Stillstehen ist immer auch ein Vibrieren, ein Kreisen um die eigene Körpermitte.

In meiner Arbeit ist es jedoch mein Körper und nicht der von Gündüz, der zittert und der ein durchgeschütteltes und instabiles Bild erzeugt. Ich wiederhole den Minimalismus von Gündüz’ Geste aber auch dadurch, dass ich mein Eingreifen bei meinem filmischen Wiederholen seiner Geste ebenfalls minimal halte.

Auf diese Weise lädt meine Arbeit die Betrachter:innen dazu ein, ebenfalls still zu werden und während des Betrachtens zur Ruhe zu kommen. Es kann sein, dass sich die Betrachter:innen, wenn sie sich auf die Zeitlichkeit der Arbeit einlassen, auch beruhigen, um dann in der Arbeit und in sich selbst mehr wahrzunehmen. Sie könnten dann vielleicht auf die Positionierung der Monitore aufmerksam werden. In meiner Arbeit wendet Gündüz dem Brandenburger Tor den Rücken zu, was natürlich mit meinem persönlichen Bezug zu diesem Ort zu tun hat. Denn eigentlich ist es natürlich mein Rücken, der diesem Symbol der deutschen Einheit hier zugewandt ist. Die Art und Weise, wie die sogenannte Wiedervereinigung umgesetzt wurde, war natürlich das Gegenteil von dem, was ich und andere uns von dieser Revolution erhofft hatten.

Burak Üzümkesici: Es ist tatsächlich bemerkenswert, wie sehr die eigene historische Position die Erinnerung an die Vergangenheit beeinflusst. Solange Dissident:innen sich nicht aktiv darum bemühen, ihre Erinnerungen lebendig zu halten, wird die Logik der offiziellen Version der Geschichte auch in ihrem Sprechen Raum greifen. So kommt es dazu, dass alternative Vorstellungen im Rückblick als naive Utopien erscheinen. Auf diese Weise reproduzieren Menschen, die an ihren eigenen Körpern eine soziale Befreiung erfahren haben, am Ende doch unweigerlich immer wieder dominante Diskurse. Solange Revolutionen in einem binären Schema als erfolgreich oder gescheitert bewertet werden, lassen sie sich weder beschreiben noch eingehender erforschen. Und so kommt es dann auch, dass Protagonist:innen von Revolutionen ihre eigene Macht und ihre einstigen Wünsche im Nachhinein abwerten oder leugnen. In einem Artikel schreibst du Ähnliches auch über marginalisierte Kunstgeschichten: »Western understandings of art […] made not only East German art practices disappear from view, but also, and maybe more crucially, the material and discursive contexts in which their aesthetics and politics could be read.«[3]

Ereignisse wie Gezi können hingegen dazu führen, dass wir aus diesen Deutungsmustern ausbrechen und die Dinge wieder anders wahrnehmen. Das Staunen über sie rührt meiner Meinung nach daher, dass Proteste gänzlich neue Kontexte herstellen können. Sie installieren, mit Georges Didi-Huberman gesprochen, neue Bühnen, auf denen politische Äußerungen möglich werden.[4] Nachdem das Ereignis vorbei ist und die neuen Bühnen sich wieder aufgelöst haben, müssen Protagonist:innen sich also dagegen wehren, dass ihr Denken wieder in andere Logiken übereignet wird. Sie müssen ihre außergewöhnliche kollektive Erfahrung selbst rationalisieren. Denkst du, Kunst kann das ermöglichen? Und können künstlerische Praktiken wie deine womöglich die Werkzeuge dafür liefern?

Elske Rosenfeld: Du sprichst hier davon, dass die genannten Revolutionen die sinnstiftenden Kontexte, in denen ihr politischer Wert oder ihre Bedeutung besprochen werden könnten, eigentlich selbst erst hervorbringen müssten. Den jüngeren Revolutionen, mit denen ich mich beschäftige, ist gemeinsam, dass sie weder klare Wortführer:innen noch ausformulierte Visionen oder Pläne für eine postrevolutionäre Zukunft hatten. Dieser Umstand, dass es den jüngeren Protesten an dieser Art klaren Zielen fehlt, wird oft als Grund dafür angesehen, dass sie keine strukturellen Veränderungen bewirken konnten. Ich meine aber, dass die enttäuschenden Ergebnisse dieser Revolutionen nicht auf ein inneres Scheitern zurückzuführen sind, sondern eine Niederlage darstellen, dass sie, wenn man so will, besiegt wurden.[5] Damit meine ich, dass Akteur:innen der alten Eliten oder – wie im ostdeutschen Fall – der westdeutschen Konservativen einfach viel größere Möglichkeiten hatten, ihre eigene Agenda durchzusetzen, bevor der revolutionäre Prozess sich politisch und gesellschaftlich überhaupt institutionalisieren und zu neuen Strukturen verstetigen konnte. Und diese Entwicklungen – diese Umdeutung und Umlenkung, die stark von außen beeinflusst wurde – machten es dann auch unmöglich, in der Praxis ein immanentes Verständnis der eigenen Politik und ihrer Ethiken und Ziele zu entwickeln.

Das führt zu dem Ergebnis, das du beschrieben hast: Die gescheiterten Revolutionär:innen waren, da sie noch keine eigene Theorie ihres spontanen Handelns hatten entwickeln können, gezwungen, die Logik der »Sieger der Geschichte«[6] übernehmen, um der eigenen Geschichte Sinn zu geben. Kunst kann einen Raum dafür bieten, genau solche, unter einer nicht passenden Sprache verschütteten Erfahrungen wieder zu offenzulegen – Erfahrungen, die in der dominanten Geschichtsschreibung unverständlich oder unsichtbar geworden sind.

Burak Üzümkesici: Die Romanistin Kristin Ross zählt auch die Arbeit von Soziolog:innen und Historiker:innen zu den externen Faktoren, die in Narrative von Niederlagen einfließen. Sie sagt, die Soziologie »has always set itself up as the tribunal to which the real – the event – is brought to trial after the fact, to be measured, categorized, and contained«.[7]

Elske Rosenfeld: Ja, eine andere Soziologie (die dann aber vielleicht keine Soziologie im engeren Sinne mehr wäre) könnte ein großartiges Instrument sein, um Revolutionen zu verstehen. Du kennst das aus den Gezi-Park-Protesten: Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Schutz wurden dort außerhalb hierarchischer Strukturen organisiert. Für die ägyptische Revolution hat zum Beispiel Asef Bayat diese Formen der Selbstorganisation beschrieben.[8] Empirisch und konzeptionell gilt es noch besser zu verstehen, wie Revolutionen sich jenseits von Ideologien, Plänen oder erklärten Absichten im konkreten Handeln ihrer Akteur:innen entfalten. Es bedarf politischer Konzepte und Methoden, die über das marxistische Verständnis von Revolution als Systemwechsel, aber auch über jüngere poststrukturalistische Verständnisse des Politischen als bloße Unterbrechung oder Negation des Bestehenden hinausgehen. Hier könnten feministische Ansätze hilfreich sein, die die jeweils konkrete Praxis der Revolutionen betrachten, etwa von Judith Butler, Verónica Gago oder Ewa Majewska.[9] Sie haben ihre Analysen am Körper entwickelt und verstehen Revolution als etwas, das sich zwischen der Mikro- und der Makroebene der Politik ereignet: zwischen »kleinen« Handlungen der Fürsorge und des Unterhalts, die wir heute dank der Arbeit früherer Feministinnen als politisch verstehen, und dem »heroischen« Moment der Revolution. Diese Ansätze sind hilfreich, weil sie das Gewöhnliche im Außergewöhnlichen suchen und weil sie dazu motivieren, Veränderungsmöglichkeiten auch jenseits des Ausnahmemoments Revolution zu suchen. Mich interessiert in dem Sinne vor allem, wie Revolutionen sich körperlich manifestieren und wie sie als emanzipatorisches Wissen oder als emanzipatorischer Impuls auch körperlich, »unter der Sprache«, fortbestehen. Meine Arbeit zu dem Umbruch von 1989/90 kann zu solchen Überlegungen beitragen, weil offizielle Geschichte und verkörpertes Gegenwissen hier schon länger in Spannung zueinander stehen.

Burak Üzümkesici: Auch das öffentliche Erzählen der DDR-Vergangenheit konzentriert sich vornehmlich auf ihre bedrückenden Aspekte. Als ich vor einigen Jahren in Berlin einen Deutschkurs belegte, überraschte es mich, dass die DDR-Vergangenheit dargestellt wurde, als sei sie die schlimmste, repressivste, beschämendste Zeit der deutschen Geschichte gewesen. Auch in Filmen über die DDR herrscht dieses Narrativ vor. Gab es wirklich keine positiven Eindrücke und Erfahrungen? Keine Dynamik, die sich auf die Gegenwart übertragen lassen könnte, keine revolutionären Bestrebungen, keine Träume oder Wünsche, die aktuelle Debatten befruchten können? Mir scheint, als herrsche in Deutschland ein seltsames Schweigen über die DDR.

Elske Rosenfeld: Natürlich wurde das Leben in der DDR nicht nur als negativ erfahren. Die Menschen lebten, während sie sich an der widersprüchlichen Realität des Staatssozialismus rieben, komplexe, widersprüchliche und reiche Leben. Das Erinnern an die DDR ist aber auch von traumatischen Erfahrungen durchzogen, die in dem gewaltvollen und repressiven Wesen des DDR-Regimes begründet lagen – auch seiner Unfähigkeit, sich von den militaristischen und faschistischen mentalen Strukturen ihrer deutschen Vorgängerregime zu lösen. Die sogenannte Aufarbeitung der DDR beschäftigt sich vor allem, und auf eine recht einfach gestrickte Weise – mittels eines sehr reduktiven Opfer-Täter-Schemas –, mit diesem Trauma und lässt dabei wenig Raum für positive Lebenserfahrungen und die Vielfalt und Kreativität widerständiger und dissidenter Praktiken im weiteren Sinne.

Zu diesen positiven wie negativen Erfahrungen kam nach 1990 das neue Trauma der rasanten und absolut rücksichtlosen Umstrukturierung des Ostens, der Entwertung hiesiger Erfahrungen und Biografien, hinzu, das in den letzten Jahren aber immerhin als ein wichtiges ostdeutsches Thema angegangen worden ist – wobei es natürlich eigentlich ein gesamtdeutsches Thema ist. Einer jüngeren Generation von Ostdeutschen ist es gelungen, das Schweigen über diese Jahre zu brechen. Und es ist möglich geworden, von der Wiedervereinigung als gescheitert oder zumindest als teilweise gescheitert zu sprechen.

Für mich ist aber letztendlich auch das Scheitern, der Verlust der Emanzipation von 1989/90 ein Trauma, um das sich, durch die Art, wie die Ereignisse heute erinnert beziehungsweise eben nicht erinnert werden, ein weiteres, schmerzhaftes Schweigen hüllt. Für mich hat diese Sprachlosigkeit zum einen mit einer krassen, aber kaum thematisierten Herabsetzung der Ostdeutschen zu tun, die sich genau im Moment der »Wiedervereinigung« vollzog: Am 3. Oktober 1990 wurden die Träger:innen der Revolution in der DDR, die sich in den Vormonaten gerade erst in einer gewaltfreien, von unten organisierten Massenbewegung von einem autoritären Regime befreit und dabei ganz eigene demokratische Formen erfunden hatten, nun von den neuen Oberen – den konservativen westdeutschen Eliten – im Nachhinein zu Kindern erklärt, denen man die Demokratie erst noch beibringen müsse. Aus dem ostdeutschen demokratischen Vorsprung wurde über Nacht ein demokratisches Defizit. Durch die narrative Entwertung der revolutionären Begehren schämten sich die Leute nun für ihre Hoffnungen und ihren Versuch, ihr Leben gemeinsam und auf der Grundlage der eigenen Erfahrungen umzugestalten.

Gleichzeitig folgte auf ihre radikale Selbstermächtigung nun noch dazu die absolute Entmächtigung in Form der neoliberalen Überformung des Ostens und der Behauptung, dass diese alternativlos sei. Man schob dem ostdeutschen demokratischen Gestaltungswillen also umgehend mit der funktionalen Vernunft des »ökonomischen Sachzwangs« wieder einen Riegel vor.

Mit dem Klischee des »Jammerossis« wurde die Enttäuschung, die viele Bürger:innen dementsprechend nach der Wiedervereinigung empfanden, schnell entpolitisiert und pathologisiert. Fast zwei Jahrzehnte ostdeutscher Proteste – gegen die Massenprivatisierungen der frühen 1990er-Jahre sowie gegen die Sozialkürzungen der frühen 2000er-Jahre – wurden unter dieser Trope als politisch irrelevant, als pures Gejammer abgetan. Bitter ist vor allem, dass man die ostdeutschen Unmutsäußerungen erst ernst zu nehmen begann, als sie ab 2014 schließlich vermehrt und offensiver unter rechtem Vorzeichen stattfanden.

Auch, um dieser rechten Aneignung ostdeutschen Dissenses entgegenzutreten, ist eine neue Erzählung der Revolution von 1989/90 und ihres Nachwirkens, eine Anerkennung ihres uneingelösten emanzipatorischen Versprechens nötig.

Die Art, wie wir vergangene politische Bewegungen erzählen, hat aber auch über den deutschen Kontext hinaus einen großen Einfluss darauf, was wir uns heute als politisch möglich vorstellen können. Erfahrungen wie die von 1989/90 und ihr kollektives Erinnern haben enorme Auswirkungen auf das Vertrauen der Menschen in ihre Fähigkeit, ihre Zukunft selbst zu gestalten beziehungsweise, wenn sie abgewertet werden, auf ihre Empfänglichkeit für autoritäre Gegenangebote. In diesem Sinne sehe ich die Arbeit an einer (Gegen-)Narration der emanzipatorischen Projekte, die wir in der DDR und in der Türkei erlebt haben, als weit mehr als pure Geschichtsschreibung an. Sie ist ein Wirkungsfeld, in dem wir unsere gegenwärtige Handlungsfähigkeit und unseren Vorstellungshorizont entweder einschränken und verringern oder stärken und erweitern können.

 

Kurzbiografien:

  1. ELSKE ROSENFELD forscht als Künstlerin, Autorin und Kulturarbeiterin zur Geschichte der Dissidenz in Osteuropa und zu den Ereignissen von 1989/90. In ihrem aktuellen künstlerischen Forschungsprojekt »Archive of Gestures« untersucht sie den Körper als Austragungsort und Archiv politischer Ereignisse. Seit 2018 ist sie Mitglied im Kuratorium der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin, die sich der Förderung der Ideen der Bürgerbewegungen der DDR widmet. 2019 kokuratierte sie das Festival Palast der Republik am Haus der Berliner Festspiele.

BURAK ÜZÜMKESICI, M. A., studierte Kunstgeschichte an der Technischen Universität Istanbul und ist derzeit Doktorand in Philosophie an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen politischer Aktionsformen, künstlerischer Praxis, Mimesis-Theorie, Medien und Vermittlung.

 

[1] Eine Version dieses Textes wurde 2023 auf der feministischen Website 5Harfliler veröffentlicht: »Doğu Almanya’dan Gezi’ye Jestler ve Toplumsal Mücadelelerin Dili. Elske Rosenfeld ile Söyleşi [Gesten und die Sprache sozialer Kämpfe von Ostdeutschland bis Gezi. Ein Interview (von Burak Üzümkesici) mit Elske Rosenfeld]«, 17.4.2023, https://www.5harfliler.com/dogu-almanyadan-geziye-jestler-ve-toplumsal-mucadelelerin-dili-elske-rosenfeld-ile-soylesi/ (15.2.2024).

[2] L., »Figuring a Women’s Revolution. Bodies Interacting with their Images«, übersetzt von Alireza Doostdar, Jadaliyya, 5.10.2022, https://www.jadaliyya.com/Details/44479 (15.2.2024).

[3] Elske Rosenfeld, »Signals, Gestures, Collective Bodies. Uncovering the Dissident Feminism of Gabriele Stötzer’s Art«, Dissidencies, 6.10.2022, http://dissidencies.net/signals-gestures-collective-bodies/ (15.2.2024).

[4] Vgl. Georges Didi-Huberman, »Conflicts of Gestures, Conflicts of Images«, in: The Nordic Journal of Aesthetics, Bd. 27, Heft 55/56, 2018, S. 11, https://doi.org/10.7146/nja.v27i55-56.110720 (15.2.2024).

[5] Vgl. Bini Adamczak, Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende, Berlin 2017.

[6] Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte (1940), Frankfurt am Main 1974.

[7] Kristin Ross, May ’68 and Its Afterlives, Chicago 2002, S. 4.

[8] Asef Bayat, Revolutionary Life. The Everyday of the Arab Spring, Cambridge (Mass.) 2021.

[9] Judith Butler, Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung (2015), übersetzt von Frank Born, Berlin 2016; Verónica Gago, Für eine feministische Internationale. Wie wir alles verändern (2019), übersetzt von Katja Rameil, Münster 2021; Ewa Majewska, Feminist Antifascism. Counterpublics of the Common, London 2021.

Signale, Gesten, kollektive Körper.

Signale, Gesten, kollektive Körper. Der dissidentische Feminismus in Gabriele Stötzers künstlerischer Praxis war mein Beitrag zu Andreas Beitin, Uta Ruhkamp, Katharina Koch (Hg.): Empowerment Kunst und Feminismen, Berlin, 2022.

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Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Hess.

Der Kampf für die Emanzipation der Frau galt in der DDR im Vergleich zur Emanzipation der Arbeiterklasse als zweitrangig. Die Gleichberechtigung der Geschlechter war in der Verfassung der DDR von 1949 festgeschrieben; die Frage galt damit als in dem sozialistischen Staat abgehakt. Tatsächlich aber waren als Frauen sozialisierte Menschen in den höheren Etagen staatlicher Institutionen oder Unternehmen kaum präsent und sahen sich zudem mit der Doppelbelastung von Vollzeitbeschäftigung und häuslicher Reproduktionsarbeit konfrontiert. Diese Ungleichheiten und Widersprüche wurden jedoch, selbst in den dissidentischen Szenen der DDR, politisch kaum thematisiert. Wer dies doch tat oder sich gar als „feministisch“ bezeichnete, stieß auf Ablehnung.[1] Künstlerinnen, die in oppositionellen Kreisen aktiv waren, sahen sich weniger im Konflikt mit den Männern als mit dem Staat.[2] Sie suchten ihre eigene Ermächtigung eher darin, die männlich dominierten Ideale des Untergrunds[3] zu übernehmen, statt sich gegen diese aufzulehnen oder sie durch eigene zu ergänzen oder zu ersetzen. Nur wenige künstlerische Praktiken – wie die von Annemirl Baur oder Angela Hampel – bezogen sich ausdrücklich auf Geschlechterfragen oder das eigene „Frausein“.

Die kollaborativen Performances der Erfurter Künstlerin Gabriele Stötzer (geb. 1953 in Emleben, Thüringen) waren daher insofern sehr ungewöhnlich, als sie einerseits die Vorstellungen des sozialistischen Staates von Kollektivität, Geschlecht und Kunst hinterfragten, zugleich jedoch auch mit dem Selbstverständnis der dissidentischen Szenen beziehungsweise des künstlerischen Untergrunds brachen, dem Stötzer selbst angehörte. Während Letztere den vermeintlich autonomen Körper des (männlichen) Künstlers als einen raren Rückzugsort vor den Zurichtungen des sozialistischen Systems zelebrierten, entwickelte Stötzer in ihrer Kunst wiederum einen dissidenten, weiblichen, kollektiv konfigurierten Körper, der sich gerade dann aus den staatlichen Zwängen und Zuschreibungen zu lösen vermag, wenn er sich als maximal offen, dezentriert oder fragmentiert erlebt.

Der vorliegende Text spürt Stötzers spezifischem dissidenten Feminismus in diesen von ihrer Praxis ermöglichten Formen einer geteilten Verletzlichkeit nach.

 

Eine kollaborative Kunstpraxis entsteht aus der Erfahrung einer fundamentalen persönlichen Erschütterung

Gabriele Stötzer war in den späten 1970er Jahren, damals unter ihrem Ehenamen Kachold bekannt, zunächst in der dissidentischen Literaturszene ihrer Heimatstadt Erfurt aktiv. Ihre besonderen, kollaborativen und körperzentrierten performativen Praktiken begann sie aber erst nach dem Erleben einer radikalen Erschütterung ihrer Körper- und Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Stötzer wurde 1977 verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe wegen „Staatsverleumdung“ verurteilt, nachdem sie den berühmten offenen Brief an die DDR-Führung gegen die Ausbürgerung des regimekritischen Liedermachers Wolf Biermann mitunterzeichnet und verbreitet hatte. Sie verbrachte sieben Monate in der „Mörderburg“ Hoheneck, dem berüchtigten Frauengefängnis, dessen Insassinnen wegen Gewaltverbrechen oder politischer Straftaten verurteilt worden waren.[4] Die Begegnungen mit ihren weiblichen Mitgefangenen unter den körperlich wie psychisch extrem harten Haftbedingungen sollten ihre Wahrnehmung ihrer selbst, aber auch ihres Geschlechts und des sozialistischen Projekts in der DDR grundlegend erschüttern und verändern. Zu ihrem Gefängnisaufenthalt sagte Gabriele Stötzer später selbst: „Mein ganzes Bild von der Welt, von der DDR und von Frauen brach in einem Mal zusammen.“[5]

Die Körper ihrer Mitgefangenen, der Mörderinnen, Diebinnen und Prostituierten, widersetzten sich den beiden Konfigurationen des weiblichen Körpers, die in der DDR nicht so sehr miteinander konkurrierten, als sich vielmehr überschnitten: der traditionelle, (klein-)bürgerliche Körper des Mädchens „aus einem ordentlichen Haushalt“[6] und der sozialistische Körper der disziplinierten, produktiven Arbeiterin, der das ältere, bürgerliche Ideal eher überlagert als ersetzt hatte. Keine dieser Konfigurationen ließ sich für Stötzer mit den Verhaltensweisen der Frauen im Gefängnis in Einklang bringen: „Dass Frauen sich auch körperlich lieben, sich tätowieren, Löffel schlucken, um sich umzubringen – darauf hatten sie weder der real existierende Sozialismus noch ihre Eltern vorbereitet. Das Frauenbild der ordentlichen und fleißigen Mutter und Arbeiterin – von der eigenen Mutter vorgelebt und vom DDR-Regime als Prototyp der ,emanzipiertenʻ Frau propagiert – zerbricht.“[7] Es waren, in Stötzers eigenen Worten, „schicksale und eigenschaften, die ich frauen vorher nicht zuordnen konnte“.[8]

Mit der Zeit brachten Stötzers Einladungen immer mehr Frauen (und einige Männer) in einem „kollektivistischen Lebens- und Arbeitsentwurf“ [12] zusammen, der sich von ihrer Kunst nicht mehr trennen ließ. Eine solche Praxis forderte einerseits die vom Sozialistischen Realismus postulierte funktionalistische Verquickung von Kunst und Gesellschaft heraus – aber eben auch die diesem Postulat entgegengestellten Ausdrucksformen ihrer Kolleg*innen im künstlerischen Untergrund.

 

Eine doppelte Befreiung: gegen das Patriarchale im DDR-Staat und seinen Untergrundszenen

Viele Künstler*innen der Generation Stötzers versuchten, sich dem ideologischen Zugriff des Staats durch einen Rückzug in den hermetischen, homogenen Zirkel des Untergrunds und in eine explizit „unpolitische“ Kunst zu entziehen. Der Körper des – als männlich imaginierten – autonomen Künstlers galt nicht nur als Quelle der (individuellen) künstlerischen Autorschaft, sondern auch als Ort der Rebellion gegen beziehungsweise der Freiheit von den Zumutungen des Regimes. Als „frei“ galt der wilde, heroische, männliche Bohemien.[13]

Gabriele Stötzers Entscheidung, mit Frauen und über das Thema „Frausein“ zu arbeiten, war daher nicht nur eine Provokation für den ostdeutschen Staat, sondern überdies auch für die oppositionellen Kreise, in denen sie sich bewegte. 1984 gründete sie die einzige Künstlerinnengruppe der DDR, die unter dem Namen „Künstlerinnengruppe Erfurt“ (später Exterra XX) bekannt wurde. Im Laufe der Jahre nahmen Monika Andres, Tely Büchner, Elke Carl, Monique Förster, Gabriele Göbel, Ina Heyner, Verena Kyselka, Bettina Neumann, Ingrid Plöttner und Harriet Wollert sowie Ines Lesch, Karina Popp, Birgit Quehl, Jutta Rauchfuß und Marlies Schmidt – und gelegentlich weitere Personen – an den Aktivitäten der Gruppe teil.[14] Statt das eigene oppositionelle Selbstbild an einer möglichst radikalen Unterscheidung zwischen Untergrund und Staat festzumachen, beschäftigte sich die Gruppe in ihren Experimenten mit patriarchalischen Formen der Unterdrückung, die beiden Kontexten gemeinsam waren. Im Schutz von Formen der Soziabilität und Kooperation, die in der Gruppe geschaffen und gepflegt wurden, erforschten die Frauen sowohl ihre eigenen Körper wie auch die der anderen, jenseits von und entgegen den propagierten Geschlechter- und gesellschaftlichen Normen.

 

Eine neue Realität: Stötzers feministische Kunst und ihre aktivistische Praxis werden eins

Der Film „signale“ war ein Projekt, das Stötzers Gruppe im Frühjahr 1989 begann und das sich als vorausahnend, ja sogar als „prophetisch“ erweisen sollte. „signale war etwas für mich verborgenes, es rief mich das andere, unausgesprochene.“[16]

Wenige Monate später sollte die „neue realität“, die ihre Arbeit erfühlt hatte, überall explosionsartig zur wunderbaren Wirklichkeit werden. Als im Herbst 1989 die Revolution begann, öffneten sich die Experimente der Frauen mühelos einer rasanten und allumfassenden Politisierung – einem kollektiven Neudenken – aller Lebensbereiche. Die implizite (oder Mikro-)Politik ihrer feministischen, künstlerischen Kooperationen und das konkrete (makro-)politische Handeln wurden ununterscheidbar eins. Die Gruppe Frauen für Veränderung gründete sich im Oktober 1989 aus Stötzers Gruppe und anderen engagierten Thüringer Frauengruppen in Erfurt und baute auf deren materiellen und immateriellen Grundlagen auf: Netzwerken, Ressourcen, Fähigkeiten, dem Einander-Kennen und Vertrauen.[17] Die Gruppe beteiligte sich maßgeblich an den allwöchentlichen Erfurter Demonstrationen und organisierte im Rathaus der Stadt erstmalig Versammlungen nur für Frauen.

Am 8. November 1989 ergriff Stötzer vor 300 Frauen das Wort:

„gegen die führungsrolle des mannes
gegen die führer
gegen die rollen
gegen die bilder
gegen die frauenbilder der letzten 40 jahre“[18]

Im Moment der Revolution wurden die Dekonstruktion der ideologischen und politischen Struktur des DDR-Sozialismus, seiner Rollen und politischen Hierarchien und die Dekonstruktion seiner patriarchal geprägten Geschlechterrollen als gegenseitig bedingt erkennbar und somit als solche verhandelbar. Die ästhetisch vermittelten Formen des kollektiven „Selbst-“ und „Frau“-Seins, die Stötzers künstlerische Kollaborationen jahrelang herausgearbeitet hatten, konnten nun endlich benannt und auch außerhalb ihrer Kunst gelebt werden. Am 8. November 1989 entfalteten die körperlichen Signale in Stötzers Kunst – wenigstens für einen kurzen Moment – ihre kommunikative Wirkung auch jenseits der kleinen Zirkel ihrer künstlerischen Aktivitäten. Die besondere Konstellation von Politik, Kunst und Geschlecht, die Stötzers Praxis aus den Widersprüchen und der zunehmenden Durchlässigkeit ihres staatssozialistischen Verständnisses formuliert hatte, begann nun sichtbar zu werden und betrat den Bereich des Möglichen.

 

Nach 1990: Stötzers politisch-ästhetische Arbeitsweise wird in den Vokabularen des Westens unlesbar

Die politische Neuorientierung der Revolution in Richtung der deutschen Wiedervereinigung bereitete diesen Experimenten und Träumen ein rasches Ende. Nach dem 3. Oktober 1990 gingen der ostdeutsche Staat und seine spezifischen Kulturen ebenso in einer vergrößerten BRD auf wie die dissidenten Formen von Weiblichkeit, die Stötzer und ihre Gruppe herausgearbeitet hatten. Stötzers dissidenter Feminismus und ihre politisch-ästhetischen Erforschungen neuer Formen von Kollektivität wurden – in den nun dominierenden Vokabularen des Westens –abermals unlesbar.

Auch die in den politischen Kämpfen des Westens geformten feministischen Sprechweisen waren wenig geeignet, die Geschlechterverhältnisse in der einstigen DDR zu fassen: Die spezifischen Arten, das eigene (weibliche) Geschlecht zu leben und zu erleben, welche die nur vordergründig progressive Sozial- und Geschlechterpolitik des Staatssozialismus ermöglicht und verunmöglicht hatten, waren in deren Vokabularen eben so wenig beschreibbar, wie die dissidenten Gegenvorschläge von Stötzers Gruppe.

Gleiches passierte im Feld der Kunst, wo ein westlicher Kunstbegriff nicht nur ostdeutsche künstlerische Praktiken aus dem Blick geraten ließ, sondern auch – was vielleicht noch gravierender ist – die materiellen und diskursiven Kontexte, in denen deren Ästhetik und Politik überhaupt nur lesbar waren. Kunsthistorische Untersuchungen zum künstlerischen Untergrund der DDR blieben denn auch oft in dem aus dem Kalten Krieg übernommenen Gegensatz von Kommunismus und Antikommunismus verhaftet und reproduzierten so eben jene geschlechtlich kodierten (männlich konnotierten) Vorstellungen eines befreiten, autonomen Künstlergenies, die Gabriele Stötzers künstlerische Praxis durchkreuzt hatte. Auch das führte dazu, dass ihre Kunst viele Jahre nur wenig Beachtung fand.

Seit einigen Jahren zieht die Öffnung des Diskurses zu DDR und „Nachwende“ nun auch ein wachsendes Interesse am Werk von Gabriele Stötzer und ihrer Gruppe nach sich. Das Wissen um die Möglichkeiten, die eigene Geschlechtlichkeit anders zu leben, das in den filmischen und fotografischen Dokumenten von Stötzers künstlerischer Praxis aufbewahrt ist, wartet auf eine Entschlüsselung. Die großartige Aufgabe, den Schatz dieses feministischen Erbes zu heben, steht nun an.

 

Anmerkungen

[1] Siehe Angelika Richter, Das Gesetz der Szene: Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR, Bielefeld 2019, S. 136.

[2] Siehe ebd., S. 144.

[3] Für die Beschreibung von Personen und Gruppen in der DDR (inklusive ihrer Kunstszenen), die sich selbst als kritisch gegenüber dem Staat und seinen Institutionen verstanden oder staatlicherseits als Kritiker*innen oder Gegner*innen wahrgenommen wurden, werden diverse Begriffe verwendet: oppositionell, dissidentisch, nonkonform, Untergrund u. v. a. Sie bilden jedoch immer nur Teilaspekte des Selbstverständnisses von Akteur*innen ab, bleiben also immer ein Stück weit unzulänglich. Ich verwende hier auch den Begriff „dissident“, der dem Englischen entlehnt ist, und der das Konzept der Dissidenz in Richtung eines erweiterten Politikbegriffs öffnet.

[4] Siehe Claus Löser, Strategien der Verweigerung: Untersuchungen zum politisch-ästhetischen Gestus unangepasster filmischer Artikulationen in der Spätphase der DDR, Berlin 2011, S. 290.

[5] Gabriele Stötzer: Anklagepunkte, n.d., Zeitzeugenportal, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=UwGwd6dS-uE (Zugriff: 09.11.2021).

[6] Rebecca Hillauer, Zeit hinter Mauern, in: der Freitag vom 18. Oktober 2002, o. S. Online verfügbar unter: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/zeit-hinter-mauern (Zugriff: 09.11.2021).

[7] Hillauer ebd.

[8] Zit. in: Karin Fritzsche/Claus Löser (Hrsg.), Gegenbilder. Filmische Subversion in der DDR 1976 – 1989. Texte, Bilder, Daten, Berlin 1996, S. 75.

[9] Stötzer im Gespräch mit der Autorin.

[10] Siehe C. Löser (Anm. 4), S. 294.

[11] Zit. in: K. Fritzsche /C. Löser (Anm. 8), S. 76.

[12] Ebd., S. 296.

[13] Siehe A. Richter (Anm. 1), S. 108.

[14] Siehe ebd., S. 131.

[15] Zit. in: K. Fritzsche/C. Löser (Anm. 8), S. 76.

[16] Gabriele Stötzer in einer E-Mail an die Verfasserin, Mai 2013.

[17] So initiierten Stötzer und vier Frauen aus ihrem Umkreis die landesweit erste erfolgreiche Besetzung eines lokalen Stasi-Hauptquartiers, auf die bald weitere an anderen Orten folgten. Siehe Peter Große/Barbara und Matthias Sengewald, Die Besetzung der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR am 4. Dezember 1989 in Erfurt , hrsg. v. der Gesellschaft für Zeitgeschichte, Erfurt, n. d.. Online verfügbar unter: www.gesellschaft-zeitgeschichte.de (Zugriff: 09.11.2021).

[18] Aus dem Dokument „geredet im rathaussitzungssaal vor frauen eingeladen von der bürgerinneninitiative frauen für veränderung am 8.11.89 gegen 22 uhr“, Gabriele Stötzer, Privatarchiv.

kuratieren ist sorge

kuratieren ist sorge – formen der sorge in praktiken des kritischen kuratierens
war mein Textbeitrag (hier in deutscher Übersetzung) zu Anna Schäffler, Friederike Schäfer, Nanne Buurman, AG Networks of Care, nGbK, (Eds.): Networks of Care. Politiken des (Er)haltens und (Ent)sorgens, Berlin, 2022

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curate (v.) von lateinisch curatus, Partizip Perfekt von curare „sich sorgen“; siehe auch: cure (v.); spätes 14. Jh., „gesund machen oder ein gesunder Zustand“, von altfranzösisch curer und direkt von lateinisch curare „sich sorgen“, daher in der medizinischen Sprache „medizinisch behandeln, heilen“. Auch: für ein Museum, eine Galerie, eine Kunstausstellung etc. „verantwortlich sein, verwalten“. Ein früheres Verb, curatize (1801), bezieht sich auf das Substantiv „(Kirchen-)Kurator“; spätes 14. Jh., „geistlicher Führer, Kleriker, der für das geistige Wohlergehen der ihm Anvertrauten verantwortlich ist; Gemeindepfarrer“, von mittelalterlich lateinisch curatus „jemand, der für die Sorge (der Seelen) verantwortlich ist.[1]

 

wenn kuratieren sorge ist, dann sorge durch wen, für wen, wofür?

wenn kuratieren sorge ist, dann wie?

 

wer sorgt sich und um wen?

die institution um die kurator_innen?

die kurator_innen um die künstler_innen?

die künstler_innen um die institution?

alles dreis aber umgekehrt?

 

wer sorgt für die zeit, die es braucht, damit kreative arbeit stattfinden kann?

wer sorgt für die integrität der werke?

 

wer sorgt sich um das publikum?

ist sorge zustimmung oder kann es auch heißen mehr zu fordern?

bedeutet sorge fürs publikum überfluss herzustellen?

oder ist weniger zu zeigen auch eine art sorge?

was ist die arbeit der betrachter_innen?

 

wenn sich die sorge um das publikum und die sorge um die kurator_innen, die sorge um die künstler_innen und die sorge um die institution nicht nahtlos ineinander fügen – sollte dann eine form der sorge vorrang vor der anderen haben? wessen sorge ist privilegiert, wenn sorge eine begrenzte ressource ist?

wer entscheidet darüber?

 

was ist die arbeit des kuratierens? ist denken arbeit, ist lesen arbeit, ist es arbeit, umherlaufen und zuzuhören wie ein gedanke im kopf gestalt annimmt? wie misst sich der wert dieser arbeit?

 

an der anzahl der formate,

der kunstwerke,

der besucher_innen,

der twitter-erwähnungen,

der rezensionen?

oder an der qualität der beziehungen, die der prozess des kuratierens ermöglicht?

wie misst man diese?

 

wer misst?

die produzent_innen? das publikum? die institution? die geldgeber_innen?

 

ist eine kuratorische arbeit erfolgreich, wenn sie ihre macher_innen erschöpft zurücklässt?

 

kann kritik sorgend sein?

kann sorge in der suche nach perfektion liegen?

 

wie kann sorgearbeit sichtbar werden?

welche sorgearbeit und wessen?

 

die arbeit, toiletten zu putzen, oder nächtelang zu diskutieren, bis ein bestimmtes problem gelöst ist? die arbeit, die es braucht, um tief durchzuatmen, wenn man aus der haut fahren will, oder die arbeit, die es braucht, um wieder zu atem zu kommen, wenn dies jemand anderem passiert ist?

 

für welche dieser arten von arbeit werden wir bezahlt?

wie werden wir bezahlt?

ist bezahlung eine form der sorge?

 

wie kalkuliert man eine gerechte bezahlung?

auf der grundlage der bedürfnisse,

fähigkeiten,

qualifikationen,

dem jeweiligen wert, den der so genannte freie markt den verschiedenen arten von arbeit zuweist?

sollte die arbeit des kuratierens gleich bezahlt werden wie die der künstler_innen, der flyer-designer_innen, der person am kassenschalter? ist es sorge, alle unterschiedlich oder alle genau gleich zu bezahlen?

sollte jemand besser bezahlt werden, dessen arbeit unglaublich langweilig ist?

sollten wir für die zeit bezahlt werden, die es braucht, um unsere eigenen körper zu regenerieren?

wer zahlt für die babysitter_in?

sollten wir darauf beharren, dass alle arbeitsstunden, die für die gestaltung einer ausstellung nötig sind, auch bezahlt werden? oder darauf, nur genau die stunden in diese arbeit zu stecken, für die wir tatsächlich bezahlt werden? schaffen wir es, eine wand leer zu lassen?

was ist mit bezahlung

in form von anerkennung?

in form von kulturellem kapital?

in form von freundschaft?

in form von unterstützung?

mit dem versprechen auf all diese dinge irgendwann einmal, später?

mit dem spass an der arbeit?

ist das genug?

wie werden wir großzügiger mit uns selbst und einander?

ist das einverständnis, kostenlos oder für wenig geld zu arbeiten, ein akt der sorge? ist es ein privileg? kann es eine pflicht sein?

ist eine arbeit noch kritisch, wenn sie bezahlt wird? ist eine arbeit noch kritisch, wenn sie gut bezahlt wird?

wenn ich euch sage, dass ich für das schreiben dieses textes 150 euro brutto bekommen und 8 stunden daran gesessen habe, erscheint euch das angemessen, zu viel oder zu wenig?

hätte mein text für diese bezahlung länger, kürzer, umfangreicher oder weniger umfangreich sein sollen? würde es einen unterschied machen, wenn ich sage, dass die arbeit an diesem text ein kampf war, aber auch ein vergnügen?

sollte das eine rolle spielen?

wie begegnen wir den widersprüchen in den ökonomischen politiken unserer praxis?

wie können wir unsere arbeit und unsere begegnungen als eine praxis der sorge um uns selbst und andere gestalten? (und wenn die sorge um einen selbst auf kosten von anderen geht – ist das noch sorge? und vice versa?)

wissen wir bereits oder müssen wir noch besser lernen, wie eine sorgende arbeit und ein sorgender arbeitskontext aussehen könnten?

können wir es gemeinsam lernen?

 

Elske Rosenfeld, geboren 1974 in Halle/S. (DDR), arbeitet in verschiedenen Medien und Formaten. Ihr hauptsächlicher Schwerpunkt und Material sind die Geschichte des Staatssozialismus, seiner Dissidenzen und der Revolution von 1989/90. Die Fragestellungen dieses Texts basieren auf Erfahrungen aus der Arbeit als Künstlerin und Ausstellungsmacherin in der politischen Kunstszene Berlins, wie zum Beispiel zuletzt als Mitglied der nGbK Arbeitsgruppe „oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende“. Der Text baut auf der Text-Bild-Collage„Symposium“ auf, die 2014 mit Freja Bäckman entstanden ist.

[1] https://www.etymonline.com/word/curate und https://www.etymonline.com/word/cure?ref=etymonline_crossreference#etymonline_v_42912

Un/sichtbar – wie die Karl-Marx-Allee über Kunst wieder lesbar wird

Dieser Text enstand für das Projekt Treffpunkt: Karl-Marx-Allee (Meet-up at Karl-Marx-Allee):

Im Wort unsichtbar ist das Wort sichtbar noch sichtbar. Deckt man das UN ab, tritt es hervor. Das Präfix negiert und erhält zugleich.

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1968 zeichnete der tschechoslowakische Künstler Július Koller in einer seiner künstlerischen Aktionen[1] die weißen Linien eines Tennisplatzes mit weißer Kreide noch einmal nach. Einmal aufgebracht, war seine Überschreibung unsichtbar. Und verdoppelte doch gleichzeitig den Raum, den sie bespielt. Mit der (unsichtbaren) künstlerischen Überschreibung wurde der alltägliche Ort Tennisplatz ein zweites Mal lesbar – als künstlerische Arbeit.

Das Thema Unsichtbarkeit durchzieht die Geschichte (ebenso wie die Nachgeschichte) des künstlerischen Untergrunds in Osteuropa, auch in der DDR. In vielen Kunstszenen, zum Beispiel in der Tschechoslowakei nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, war die buchstäbliche Nicht-Wahrnehmbarkeit ihrer im öffentlichen Raum durchgeführten Aktionen für viele Künstler:innen politische Strategie und künstlerisches Konzept zugleich. Auch Formen der Überaffirmation und des „Zwischen den Zeilen“-Arbeitens spielten mit der UNsichtbarkeit.

In der DDR waren hingegen die Praktiken der Performance- und Experimentalfilmkunst für den offiziellen Kunstbetrieb nicht als Kunst zu erkennen und einzuordnen, sie tauchten in den offiziellen Kunstausstellungen kaum auf. Aber auch Künstler:innen betrachteten ephemere Praktiken und künstlerisch vermittelte Formen des Zusammenseins oft nicht als Kunst, weil sie mit dem auch in nonkonformen Szenen lange eher traditionellen Kunstbegriff nicht zu fassen waren. 1990 entließ der Beitritt der DDR zur BRD die künstlerischen Praktiken aus der DDR in eine erneute, diesmal noch weniger strategische oder selbst gewählte Unsichtbarkeit: eine kulturelle Überschreibung, die Lesbarkeiten nicht doppelt, sondern die Dinge verschwinden lässt.

Auch DDR-Architekturen verschwanden nach 1990 an vielen Orten aus dem Stadtbild. Künstler:innen und Aktivist:innen der Nachwende haben dieses Verschwinden dokumentiert oder die verschwundenen oder vom Verschwinden bedrohten Architekturen mit Aktionen markiert oder in ihren Werken festgehalten. Die Karl-Marx-Allee – selbst eine Überschreibung früherer Architekturen, die man als nicht mehr zeitgemäß ansah – hat die Austragung und Überschreibung von DDR-Geschichte im Berliner Stadtraum ab 1990 überlebt.

Auf der Karl-Marx-Allee ist die DDR noch sichtbar – hypersichtbar – und doch gleichzeitig unsichtbar. Hiding in plain sight, wie man auf Englisch sagt: versteckt in der Hyper-Sichtbarkeit.

Die Straße und ihre Architekturen sind zu sehen, aber wer kann sie lesen und verstehen? Die westdeutsche Betrachterin sieht vielleicht eine Architektur, in der alle Grundrisse ähnlich sind, und schließt daraus, dass alle Bewohner:innen gleichgestellt sind. Die ostdeutsche Nachbarin weiß vielleicht, dass hier die DDR-Oberschicht wohnte, nicht unbedingt reicher als der Rest, aber allein schon qua ihrer Wohnung an diesem Ort privilegiert. Wer nimmt das repräsentative Projekt der DDR für bare Münze, wer weiß um die Konflikte und Richtungskämpfe, die es überdeckt? Wem sagen die Namen der Menschen, die hier lebten, auch aus den kulturellen Eliten der DDR, heute noch etwas? Es braucht Vermittlung, damit die Straße sprechen kann; gibt es die vermittelnde Stimme nicht mehr, bleibt die Straße stumm.

Im Projekt Treffpunkt: Karl-Marx-Allee übernehmen drei Künstlerinnen diese vermittelnde Sorgearbeit. Die Karl-Marx-Allee ist also so etwas wie die Umkehrung von Kollers überschriebenem Tennisplatz: ein Ort, der einer künstlerischen Markierung bedarf, damit er wieder in seinen ursprünglichen Bedeutungsebenen lesbar wird.

Die drei Arbeiten des Projekts spielen dabei selbst mit Formaten der UNsichtbarkeit: der Spaziergang, die Projektion, die Performance, die temporäre Installation sind kurz zu sehen und leben danach – als mit den Orten verbundene Erinnerungen – nur für die Dabeigewesenen fort.

Ingeborg Lockemann beschäftigt sich in ihrer Arbeit Hier, Berolinastraße! mit einer besonderen Form der Unsichtbarkeit – jener von lesbischen Frauen in der DDR. So wählten Frauen in der DDR in ihren verklausulierten Kontaktanzeigen alltägliche Begriffe, die sie mit doppelten Bedeutungen belegten und die nur für Eingeweihte zu entschlüsseln waren. Die Schriftobjekte aus Acryl, die Ingeborg Lockemann aus diesen Begriffen gefertigt hat, sind ebenfalls durchsichtig, dezent, versteckt – zwar sichtbar, aber vielleicht für Uneingeweihte leicht zu übersehen. Michaela Schweiger holt mit Wir, 2021 in den Vordergrund, was sonst im Verborgenen bleibt: Wenn Anwohner:innen nach Entwürfen aus der 1956 in der DDR gegründeten und 1995 eingestellten Zeitschrift für Mode und Kultur Sibylle Kleidungsstücke nähen lassen, bei denen ihre Miete in Arbeitsstunden umgerechnet wird, werden die normalerweise unsichtbaren materiellen Verhältnisse ausgestellt: Was kostet das Wohnen, wie viel ist die Arbeitszeit wert? Die Figur der Babette im Rosengarten spaziert in der von Inken Reinert konzipierten Performance durch die Stadtlandschaft, lässt Geschichte aufscheinen, verschwindet dann wieder. Nur die um die Protagonistin aufgestellten Rosenstöcke, Requisiten, die kurzzeitig Kunst werden, bleiben. An Nachbar:innen verschenkt, werden sie wieder Rosenstöcke, rückgeführt ins alltägliche Leben, minus der Kunst.

Geschichtspolitik von oben?

Mein Text Geschichtspolitik von oben? Gedanken zum geplanten Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit ist im Deutschland Archiv der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen. Ich nehme dort noch mal die Planung eines solchen Zentrums zum Anlass einer Befragung des Standes der Aufarbeitung der DDR- und Wende-Geschichte und ihrer Institutionen. Ich plädiere, anhand einer Neubewertung ostdeutscher Protestgeschichte ab 1989, dafür, die von allen (und insbesondere den vom Nationalismus und Rassismus der Nachwendejahre zusächlich belasteten migrantischen oder nicht-weißen) Ostdeutschen erbrachten Leistungen und erlittenen Verletzungen einer angemessenen Aufarbeitung zu unterziehen – und zwar “von unten”.

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Wie eine Einheit feiern, deren Erfolg seit einigen Jahren durch unüberhörbaren Unmut in Ostdeutschland zumindest diskussionswürdig erscheint? Vor dieser Aufgabe stand 2020 die vom Bundesinnenministerium eingesetzte Expertenkommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit”. Die Idee der Kommission, die bevorstehenden Jahrestage vor allem auch zum Anlass einer Untersuchung der Stimmungslage in Ostdeutschland zu nehmen und auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung zu entwickeln, um bestehende Defizite beim Zusammenwachsen abzubauen, war darauf sicher nicht die schlechteste Antwort. 22 Mitglieder aus Politik, Kultur und Wissenschaft gehörten ihr bis Ende 2020 an, 65 Millionen Euro umfasste der Etat für zwei Jahre.

In ihrem Abschlussbericht,[1] den sie am 7. Dezember 2020 in der Bundespressekonferenz vorgestellt hat, bezeichnet die Kommission die deutsche Einheit nun als zumindest unabgeschlossen. Die Autor*innen machen sich stark dafür, „Defizite und Fehlentwicklungen“ im Einheitsprozess zu benennen und „die Debatte über Stand und Zukunft der inneren Einheit unseres Landes auf eine neue Grundlage“ zu stellen. Sie konstatieren, dass Folgeprobleme der Einheit, wie Arbeitslosigkeit und Abwanderung, unter Ostdeutschen zu „Aussichts- und Hoffnungslosigkeit“, politischer und gesellschaftlicher „Verdrossenheit“ und „Entfremdung“ geführt haben. Sie problematisieren die fehlende Sichtbarkeit und Würdigung der Lebensleistungen Ostdeutscher und ihre Unterrepräsentanz in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Führungspositionen.

Mit ihren Handlungsempfehlungen wollte die Kommission diesen Missständen gegensteuern. Ein Kernstück der Empfehlungen, die am 8. Dezember 2020 auch öffentlich zugänglich online publiziert wurden, ist die Einrichtung eines „Zukunftszentrums für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ in Ostdeutschland, als Ort der „praxisorientierten Auseinandersetzung mit Geschichte.“ In einem interdisziplinären Kompetenzzentrum, eingerichtet in einem „identitätsstiftenden“ Gebäude in Ostdeutschland, sollen die Leistungen und Erfahrungen der Ostdeutschen in der Transformation verarbeitet und für die Zukunft nutzbar gemacht werden. Das Zentrum soll ein wissenschaftliches Institut, ein Dialog- und Begegnungszentrum und ein Kulturzentrum umfassen, Preise und Stipendien vergeben, Konferenzen und Ausstellungen ausrichten und Formen des Austauschs im und jenseits des Zentrums organisieren.

Das Bundeskabinett griff die Handlungsempfehlungen der Kommission im März 2021 auf und setzte neben einer am Bundesinnenministerium angesiedelten Lenkungsgruppe eine achtköpfige Arbeitsgruppe ein, die schon bis Ende Juni 2021 ein „detailliertes Konzept“ zu den Aufgaben und Arbeitsweisen eines solches „Zukunftszentrums für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ erstellen soll.[2] Zu Mitgliedern dieser AG wurden berufen: Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der parlamentarische Staatssekretär und Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), die SPD-Politikerin Katrin Budde aus Sachsen-Anhalt, der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU), der Görlitzer Soziologe Raj Kollmorgen, die Demokratieforscherinnen Astrid Lorenz aus Leipzig und Gwendolyn Sasse aus Berlin sowie der Leiter des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig, der Politologe und Publizist Basil Kerski.

Mein Text soll die Potenziale, aber auch mögliche Fallstricke einer solchen Einrichtung aufzeigen. Auf welche geschichts- und diskurspolitische Situation reagiert der Vorschlag für dieses Zentrum? Auf welche Defizite in der bisherigen Aufarbeitung ostdeutscher Transformationsgeschichte will, kann oder müsste es reagieren? Welche Formen der Umsetzung des Vorschlags wären einer solchen Aufgabe angemessen? Welche Fehler in der bisherigen staatlichen Aufarbeitungspolitik gilt es zu vermeiden?

Ich nähere mich diesen Fragen im Folgenden aus der Perspektive meiner eigenen langjährigen forschenden und künstlerischen Beschäftigung mit der Geschichte der Revolution von 1989/90 und ihrer Vor- und Nachgeschichte und verstehe diesen Text als Anregung und Beitrag zu einer hoffentlich regen Diskussion zu dem vorgeschlagenen Zentrum und seinen Themen.

 

Zwischen Currywurst und Spitzelstaat: Darstellungen von DDR-Geschichte und -biographien bis 2014

Der durch die Coronapandemie in den Medien weitgehend untergegangene Bericht der Kommission ist zunächst Zeugnis und sicher auch Produkt einer Öffnung und Diversifizierung des Umgangs mit ostdeutscher Geschichte und ostdeutschen Biographien. Noch die Feierlichkeiten des letzten größeren Jubiläums von „Mauerfall und deutscher Einheit“ in den Jahren 2014/15 bewegten sich irgendwo zwischen „Trabbi, Mauer und Currywurst“ auf der einen und Unrechtsstaat und Diktatur auf der anderen Seite[3] und verdeutlichten damit auch den Stand der Debatte zur DDR-Geschichte. Wenn über die DDR gesprochen oder zur DDR geforscht wurde, geschah dies ab 1990 entlang eines aus dem Kalten Krieg übernommenen binären Erzählmusters: hier der freiheitliche Westen als Normalität, dort der totalitäre, repressive Staatsozialismus als historischer Irrweg, der 1989 glücklich und endgültig überwunden wurde. Viele Ostdeutsche – von denen zu diesem Zeitpunkt laut Umfragen 74 Prozent den Sozialismus für „eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt wurde“[4] hielten – fanden sich in einer solchen Erzählung aber nicht wieder. Ihre Lebensleistungen ließen sich in einer auf Repression und Widerstand reduzierten Geschichte weder würdigen noch überhaupt erst einmal erzählen. In den westdeutsch dominierten Medien tauchten ostdeutsche Leben als Klischees auf – oder gar nicht. [5] Es entstand der „Eindruck” – wie es die Kommission zurückhaltend formulierte –, dass die Ostdeutschen in der öffentlichen Debatte nicht angemessen vorkämen. Und wer meint, durch den starken Fokus auf das Thema Stasi wäre wenigstens die Aufarbeitung dieses einen Themas gelungen, sei an den heftig geführten Streit um die Ernennung Andrej Holms zum Staatssekretär für Wohnen in Berlin 2017 erinnert, der eindrücklich zeigte, dass der gegenwärtige Stand der Debatte sich eher für tagespolitische Instrumentalisierungen als für eine tatsächliche Verständigung jenseits simpler Opfer-Täter-Schemata eignet.[6]

Es ist bitter, dass es scheinbar erst die ab 2015 von Pegida und AfD betriebene Skandalisierung und Funktionalisierung ostdeutscher Fehlentwicklungen brauchte, um eine breitere Debatte zu und Neubewertung der Transformation in Ostdeutschland zu erzwingen. Es ist daher ein wichtiger Schritt nach vorne, dass sich die Kommission mit ihrem Bericht und ihren Vorschlägen der ostdeutschen „Entfremdung und Verdrossenheit“ jetzt annimmt und diese „klar zu benennen und ihnen möglichst umfassend entgegenzuwirken“ als eine zentrale gesamtgesellschaftliche und staatliche Aufgabe verstanden wissen möchte.

Eine solche Neubewertung müsste aber notwendigerweise mit einer kritischen Befragung der bislang verwendeten Begriffe und Narrative anfangen. So erweist sich, wie ich im Folgenden kurz ausführen möchte, schon das Reduzieren des Umbruchs und der Transformation in Ostdeutschland ab 1989 auf den Begriff der „deutschen Einheit“ für eine Würdigung der, auch demokratischen, Leistungen der Ostdeutschen und eine Bewertung ihres politischen Engagements und Interesses als unzureichend.

 

Transformationsgeschichte ist Revolutionsgeschichte: Die Revolution von 1989/90 als unvollendete demokratische Ermächtigung erzählen

 

Im April 2019 sprach die Bundesregierung in ihrem Einsetzungsbeschluss zur „Durchführung der Feierlichkeiten ‚30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit‘“ davon, dass diese „Jubiläumsjahre“ auch dazu dienen sollten, ein „Bewusstsein“ dafür zu schaffen, „dass die Deutsche Einheit ein Prozess ist, der noch nicht abgeschlossen ist. Die Jubiläumsjahre sollen das gemeinsame und gegenseitige Verständnis für die Leistungen fördern, die zur Wiedervereinigung geführt haben und für das Zusammenwachsen von Ost und West erbracht wurden“.7 Doch damit blieben erneut all jene Aspekte und Hoffnungen des Umbruchs von 1989/90 unerwähnt, die über die Übernahme der „real existierende[n] Demokratie vom Rhein“ hinausgingen, wie sie Joachim Gauck einmal definierte.8 Eine solche Erzählung der Revolution von 1989/90 entlässt deren Akteur*innen nicht als Träger einer radikalen und alle gesellschaftlichen Bereiche ergreifenden kollektiven Selbstermächtigung in die Post-Revolution, sondern als „Lehrlinge“9 oder – buchstäblich – als Kinder.10 Sie setzt so den Ton für genau jene eigentlich kritisierte Herabwürdigung von Ostdeutschen, welcher die Kommission mit dem geplanten Zentrum entgegenwirken möchte.

Es ist insofern ein gutes Zeichen, dass sich die Kommission 2019/20 entschied, die Liste der zu feiernden Ereignisse um eine Reihe weiterer „Meilensteine”, darunter auch das Gründungstreffen des Neuen Forums im September und die Montagsdemonstrationen am 9. Oktober 1989, zu ergänzen.

Ein solches erweitertes Verständnis der Revolution von 1989/90 sollte sich entsprechend auch in der von der Kommission vorgeschlagenen Würdigung der Transformationsleistungen der Ostdeutschen niederschlagen. Forschung und Dialog im geplanten Zentrum sollten sich, neben der Geschichte von 1989/90 als Einheitsgeschichte, auch dessen annehmen, was aus dem Umbruch von 1989/90 an uneingelösten Versprechen und vergessenen emanzipatorischen Praxen liegengeblieben ist. Viele der Vorschläge der damals Engagierten für eine ökologische Neugestaltung der Wirtschaft, für eine gerechtere globale Ordnung oder für die in der DDR behauptete, aber nicht erzielte Geschlechtergerechtigkeit, sind auf dem eher westdeutsch dominierten Weg in die deutsche Einheit auf der Strecke geblieben – erscheinen aber 30 Jahre später so aktuell wie hellsichtig.11

 

Kein Gejammer: Ostdeutsche Protestgeschichte ab 1989

Mit einem solchen erweiterten Ansatz ließe sich anerkennen, dass die post-DDR-Bürger*innen ihre Transformationsleistungen nicht nur unter dem Vorzeichen des Verlustes der politischen, kulturellen und sozialen Koordinaten ihres bisherigen Lebens, sondern auch jenes Möglichkeitsraums erbracht haben, den sie sich im Herbst und Winter 1989/90 erkämpft hatten. Die massive ostdeutsche Protestbewegung der frühen 1990er Jahre ließe sich, statt sie als typisches „Jammerossitum“ abzutun, in Kontinuität mit einem demokratischen Selbstbestimmungsanspruch untersuchen, der nach dem 3. Oktober 1990 nicht erlosch, sondern nun vielmehr auf die neuen Verhältnisse angewendet wurde.[7] Circa 150 bis 200 Streiks, Betriebsbesetzungen und andere Proteste pro Jahr zwischen 1991 und 1994[8] müssten in diesem Sinne nicht als eine „zweite Revolution im Osten“,[9] sondern als Fortsetzung der ersten analysiert werden.[10]

Die Enttäuschung vieler Ostdeutscher nach 1990 entspringt auch der großen Fallhöhe zwischen ihrem 1989 erlernten demokratischen Anspruch und der von der Treuhand propagierten Politik wirtschaftlicher Sachzwänge. Statt die begonnenen demokratischen „Experimente“ zu verstetigen, wurde der Osten nun zu einem Labor einer so in Europa noch nie gesehenen Privatisierung und Liquidation einer Volkswirtschaft,[11] die – teils bis heute – als alternativlos deklariert wird. Die demokratischen Defizite einer solchen „Transformation von oben“12 müssen in dem geplanten Zentrum diskutierbar werden, wenn die von der Kommission gewünschte Anerkennung ostdeutscher Enttäuschungen und Verletzungen gelingen soll. Der für das Zentrum vorgeschlagene osteuropäische und transnationale Rahmen könnte sich hier als hilfreich erweisen. Die Geschichten der oft erfolgreicheren osteuropäischen Alternativen sind gut geeignet, die behauptete Unumgänglichkeit der ostdeutschen Schockprivatisierung zu überprüfen.[12]

Auch die Frage nach der Politverdrossenheit der Ostdeutschen und ihrem vermeintlich fehlenden politischen Engagement, dem „geringe[n] Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen“, die den Bericht und die Vorschläge der Kommission durchzieht, ließe sich so jenseits abwertender Stereotype noch einmal anders und produktiver darstellen. Die signifikante Protesterfahrung der Ostdeutschen, die sich nach 1990 nicht nur in den Anti-Treuhandprotesten (1991-94), sondern auch in Montagsdemonstrationen gegen den Irakkrieg (2003) und gegen Harz IV (2004) manifestierte, könnte als Zeichen eines durchaus vorhandenen, aber als wenig wirkmächtig erlebten, spezifisch ostdeutschen politischen Engagements untersucht und gewürdigt werden. So ließe sich auch der 2014 begonnenen Aneignung ostdeutschen Protests durch Rechtspopulisten und Rechtsextremisten begegnen.

 

Gegen eine rechte Vereinnahmung: Nationale Narrative feiern oder hinterfragen?

Es ist gut, dass die Kommission diese Aneignung und Mobilisierung ostdeutscher Frustrationen problematisiert und ihr mit ihren Vorschlägen und in dem geplanten Zentrum entgegenwirken möchte. In Zeiten, in denen gerade im Osten zivilgesellschaftliches Engagement oft mittels einer kruden Rechts-Links-Gleichsetzung diskreditiert und finanziell eher entwertet als gefördert wird, könnte das Zentrum so tatsächlich gegensteuern und ein wichtiges Zeichen setzen.

Der Bericht der Kommission wirft aber Fragen auf, wenn er seine Vorschläge, auch die für das Zukunftszentrum, mit einem Aufruf zu einem stärkeren deutschen Nationalbewusstsein, einem „positiven demokratischen Patriotismus“, einem „heiteren Feiern“ des Nationalen verbindet. Hier zeigt sich ein zentrales Problem eines Handlungskonzeptes, dem sein ursprünglicher Auftrag, das nationale Projekt Deutsche Einheit vor allem zu feiern, noch überdeutlich anzumerken ist.

So leisten der Bericht und seine Vorschläge einem Feiernationalismus Vorschub, der schon in den 1990er Jahren nicht als harmloses Wohlfühldispositiv funktioniert hat. Westdeutsche mit türkischen Wurzeln[13] und Schwarze (Ost)deutsche[14] haben damals erleben müssen, wie sie aus dem gemeinsamen Feiern der Revolution im Osten in dem Maße ausgeschlossen wurden, wie daraus das nationale Projekt der sogenannten deutschen Wiedervereinigung[15] wurde. Die Kommission wiederholt diese Ausschlüsse nun in Inhalt und Form. Die nahezu rein „biodeutsche“ Zusammensetzung der Kommission zieht aus meiner Sicht auch inhaltliche Schieflagen nach sich. So fehlt mir im Bericht die Anerkennung der Tatsache, dass sich auch Deutsche mit ausländischen Wurzeln und Vertragsarbeiter*innen, wie jene, die der Einigungsvertrag aus bilateralen Abkommen der DDR mit Mosambik, Vietnam und Angola in die Ungewissheit entließ, in der post-DDR ein neues Leben aufbauten. Ihre Lebensleistungen gehören aber zur ostdeutschen Transformationsgeschichte, ebenso wie ihre Erfahrungen mit Rassismus und Neofaschismus, der von dem mit der Einheit verbundenen Aufschwung des Nationalen befördert und von drastischen Einschränkung des deutschen Asylrechts flankiert wurde. Diese Zusammenhänge zwischen dem Wiedererstarken nationaler Narrative ab 1990 und dem, was in den letzten Jahren unter dem Hashtag „Baseballschläger-Jahre“ diskutiert wurde, gehören unbedingt in das Themen- und Forschungsspektrum des geplanten Zentrums, finden aber in Bericht und Vorschlägen keine entsprechende Berücksichtigung.

Die fehlende Sensibilisierung und Expertise zu migrantischen Perspektiven schlägt im Bericht leider noch an anderen Stellen negativ zu Buche. So werden Forderungen für mehr Engagement gegen „Fremdenfeindlichkeit“ in den Handlungsempfehlungen mit der Notwendigkeit begründet, (ausländische) „Talente“ nicht zu verprellen. So knüpft man das Recht von Menschen, nicht rassistisch beleidigt oder angegriffen zu werden, an das Erbringen wirtschaftlicher Leistungen. Und wenn die Notwendigkeit, „Zugewanderte“ mit den kulturellen Aktivitäten des Zukunftszentrums zu „erreichen“, damit begründet wird, für diese sei „die Verinnerlichung der europäischen Werte von hoher Bedeutung”, unterstellt das implizit, dass ihnen diese Werte prinzipiell fremd oder äußerlich wären. Solch eine Formulierung ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass Geflüchtete Europa und seinen praktizierten Werten aktuell häufig als allererstes in Form eines gewaltvollen und oft tödlichen europäischen Grenzregimes begegnen. Hier sollte sich die Bundesregierung bei der weiteren Planung des Zentrums dringend sensibilisieren und die nötige Expertise einholen.

 

Wi(e)der eine Geschichtspolitik von oben? Zur Form des Zentrums und seiner Planung

Das wirft die grundsätzlichere Frage auf, was es heißt, die vorgeschlagene staatliche Förderung von Forschen und Erinnern an eine zentrale Einrichtung und einen repräsentativen Auftrag zu binden. Die Kommission sieht den Vorteil des geplanten zentralen Ansatzes in der Bündelung von Kompetenzen und Aufgaben und der so möglichen Intensivierung des Austauschs. Es ist nachvollziehbar, dass sie so zwischen den sehr unterschiedlichen, teils antagonistischen Narrativen zum und im Osten vermitteln möchte. Aber eine solche Zentralisierung und staatliche Lenkung des Erinnerns birgt auch Gefahren.

Die Sensibilität gegenüber Versuchen einer staatlich gelenkten Geschichtsdeutung oder gar Belehrung oder Umerziehung ist im Osten zu Recht groß.[16] Die Transformationsleistungen, die im Zentrum gewürdigt werden sollen, sind von Ostdeutschen von unten und oft entgegen staatlicher Politiken erbracht worden. Dem gilt es, auch in der Form ihrer Aufarbeitung Rechnung zu tragen. Das Bemühen darum ist dem Vorschlag an vielen Stellen anzumerken. Aber es gerät in Konflikt mit dem bereits erwähnten Primat einer prinzipiell positiven Bewertung der Deutschen Einheit. Was passiert mit Stimmen, die ihre Kritik nicht in ein solches Narrativ vereinnahmt wissen wollen? Kritischen Stimmen innerhalb der Arbeit des Zentrums Raum zu geben, ist nötig und wichtig, aber es braucht auch eine kritische und gleichberechtigte Auseinandersetzung zwischen dem Zentrum und anderen Ansätzen, Akteur*innen und Institutionen. Wenn das Zentrum das Erinnern und die Forschung zur Transformation auf die im Bericht anklingende Weise an einen staatlichen Auftrag bindet, dann könnte es im Hinblick auf die geforderte größere Vielfalt möglicherweise mehr Schaden anrichten als helfen. Fatal wäre zum Beispiel, wenn anderen Akteur*innen im Zuge der Einrichtung des Zentrums Gelder zur Bearbeitung vergleichbarer Themen entzogen oder Projektanträge bei anderen, offeneren Förderungen mit Verweis auf dessen Existenz abgelehnt würden.

Genau diese Wirkung ist in den vergangenen Jahren aber bereits einem prominenten ostdeutschen Erinnerungsprojekt vorgeworfen worden: der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.[17] Ihre Geschichte bietet ein wichtiges Beispiel für die Probleme, die mit an einen staatlichen Auftrag geknüpften Aufarbeitungsprojekten einhergehen können. Die Stiftung wurde 1998, ebenfalls aufgrund der Empfehlungen zweier von der Bundesregierung eingesetzter (Enquete-)Kommissionen, gegründet. Sie stellt seither Gelder zur Erforschung der DDR-Geschichte bereit, bindet diese aber auch an die Lesart, die ihr bereits im Namen eingeschrieben ist. Sie hat so maßgeblich zu der oben beschriebenen, von vielen Ostdeutschen als zu eng empfundenen Ausrichtung der DDR-Geschichtsschreibung beigetragen. Der DDR-Bürgerrechtler und Historiker Thomas Klein hat im Herbst 2020 beschrieben, wie kleinere und prekärere nicht-staatliche Akteure der Aufarbeitung aus bürgerbewegten Kreisen, die andere Ansätze der Historisierung verfolgen hätten können und auch wollten, sich entweder in Antizipation „der Erwartungen der fördernden Einrichtung“ oder unter politischem Druck den Vorgaben dieses wichtigsten Geldgebers beugten.[18] Auch der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk – eine der bekanntesten Stimmen der bisherigen DDR-Aufarbeitung und zeitweise Mitglied der Kommission – hat der Stiftung in der Vergangenheit eine „Monopolisierung und Verstaatlichung der DDR-Forschung“ vorgeworfen.[19] Problematisch ist hier also nicht der inhaltliche Fokus auf Repression und deren Opfer an sich, sondern dass dieser durch die privilegierte Stellung der Stiftung den Platz einer breiter gefächerten DDR-Aufarbeitung einnimmt.

Die Bundesregierung und die mit der Planung des Zentrums Beauftragten sollten auf diese Vorerfahrungen achten und deutlicher als im vorliegenden Bericht erklären, wie man vergleichbaren Prozessen in Bezug auf das geplante Zentrum vorbeugen und eine diverse und kontroverse Debatte zur Aufarbeitung der Nachwende innerhalb und jenseits des geplanten Zentrums gewährleisten möchte.

 

Fazit: Von der Aufarbeitung in die Debatte

In einem Interview anlässlich seiner Amtseinsetzung 2017 lehnte der Berliner Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Tom Sello, die Forderung nach einer Aufarbeitung der Verwerfungen der Nachwendezeit noch mit der Begründung ab, dies sei nicht Aufgabe eines Beauftragten, sondern Gegenstand der „politischen Auseinandersetzung“ und einer „demokratisch legitimierte[n] politische[n] Willensbildung und Entscheidungsfindung“.[20] Doch was ist Aufarbeitung, wenn sie letzteres nicht ist? Und was heißt es, wenn nun doch auch die Geschichte ab 1990 zum Gegenstand vergleichbarer staatlicher Erinnerungspolitiken gemacht wird?

Im Idealfall könnten neu ausgerichtete Fördermechanismen dazu beitragen, Ostdeutsche endlich vom Objekt zum Subjekt von Geschichtsschreibung und Zukunftsplanung werden zu lassen. Forschung und kulturelle Programme könnten die Erfahrung von Revolution und Transformation zum Ausgangspunkt einer kritischen Befragung des krisenbehafteten Heute machen.

Um der Idee einer Einrichtung gerecht zu werden, die nah an den Lebenserfahrungen der Ostdeutschen angesiedelt wäre, sollte die Debatte zur Ausrichtung und Gestaltung eines solchen Zentrums allerdings nicht, wie aktuell geplant, nur von einer kleinen, vom Bundesinnenministerium eingesetzen Arbeitsgruppe, sondern von einer breiten Öffentlichkeit geführt werden. Dem Zentrum eine Form zu geben, die ihrem inhaltlichen Fokus, der Transformationsleistung der Ostdeutschen, entspräche, hieße, seine Planung und das Gespräch zu den damit verbundenen Wünschen und Befürchtungen möglichst öffentlich, möglichst ergebnisoffen und möglichst „von unten“ zu gestalten. Mein Text versteht sich als Beitrag – auch Aufruf – zu einem solchen Austausch.

 

Bio-Bibliografie des Autors / Der Autorin

Elske Rosenfeld (geb. 1974, Halle/S.) forscht als Künstlerin, Autorin und Kulturarbeiterin zur Geschichte der Dissidenz in Osteuropa und zu den Ereignissen von 1989/90.  In ihrem aktuellen künstlerischen Forschungs- und Buchprojekt „A Vocabulary of Revolutionary Gestures” untersucht sie den Körper als Austragungsort und Archiv politischer Ereignisse.

 

[1] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Abschlussbericht der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit”, Berlin, 7.12.2020.

[2] Bundesregierung, Stellungnahme zum ‘Abschlussbericht der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“, Drucksache 19/28060, 23.3.2021. Behandelt im Bundeskabinett am 17.3.2021, TOP 4, https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/kabinettssitzungen/themen-im-bundeskabinett-ergebnisse-1877668, zuletzt aufgerufen am 05.6.2021.

[3] Siehe: 25 Jahre Deutsche Einheit, http://www.mauerfall-berlin.de/deutsche-einheit/25-jahre-deutsche-einheit-2015/, zuletzt aufgerufen 21.4.2021.

[4] Vgl.In deutschen Köpfen: Wie Ost und West seit der Einheit denken, Statistiken 1991 bis 2010www.zeit.de/gesellschaft/deutschland-ost-west-umfragen.html, zuletzt aufgerufen 21.4.2021.

[5] Diese mediale (Nicht-)Behandlung ostdeutscher Themen ist in den letzten Jahren vielfach problematisiert worden; siehe z.B. Stefan Locke, Wie aus dem Kongo, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.10.2020, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wie-berichten-medien-ueber-ostdeutschland-16981516.html, zuletzt aufgerufen 21.4.2021.

[6] Vgl. Elske Rosenfeld, Zur „Causa Holm”, Teil 1, auf: Dissidencies (blog), 20.12.2016, http://dissidencies.net/causa-holm-1/, zuletzt aufgerufen 21.4.2021.
7 Vgl. Fußnote 2, Abschlussbericht, S. 106.

[6] Vgl. Deutscher Bundestag – Rede von Joachim Gauck, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, 9.11.1999, https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/gorbatschow/gauck-247418, zuletzt aufgerufen 21.4.2021.

9 Ebd.

10 Boris Buden beschreibt diesen Vorgang in Zone des Übergangs: Vom Ende des Postkommunismus, Frankfurt/M. 2009, S. 34, wie folgt: „Menschen, die in den demokratischen Revolutionen 1989/90 gerade ihre politische Reife bewiesen haben, sind über Nacht zu Kindern geworden!”.

11 Vgl. Elske Rosenfeld, Noch einmal eintauchen in die Zeit der Wende, in: Der Tagesspiegel, 7.3.2019, https://www.tagesspiegel.de/kultur/haus-der-berliner-festspiele-noch-einmal-eintauchen-in-die-zeit-der-wende/24073106.html, zuletzt aufgerufen 21.4.2021.

12 Vgl. zur Begrifflichkeit der Transformation „von oben“ Michael Frisch/Michael Wyrwich, Ein langer Weg – Anpassungsprobleme in der ostdeutschen Unternehmenslandschaft, in: bpb-Dossier: Lange Wege der Deutschen Einheit 13.5.2020, https://www.bpb.de/47208, zuletzt aufgerufen am 08.5.2021.

13 Vgl. Jörg Roesler, Die Kurze Zeit der Wirtschaftsdemokratie. Zur „Revolution von Unten” in Kombinaten und Betrieben der DDR während des 1. Halbjahres 1990, Berlin 2005, S.46 f.

14 Dietmar Dathe, Streiks und Soziale Proteste in Ostdeutschland 1990 – 1994. Eine Zeitungsrecherche von Dietmar Dathe, Berlin, Dezember 2018, https://geschichtevonuntenostwest.files.wordpress.com/2019/02/dathe_streik-und-protest-ostdeutschland_final_1_17-mb.pdf, zuletzt aufgerufen 21.4.21.

15 Diese Formulierung benutzt der Moderator eines TV-Interviews mit Detlev Karsten Rohwedder in Bezug auf die Proteste im Frühjahr 1991 – zu sehen in der Netflix-Dokuserie „Rohwedder: Einigkeit und Mord und Freiheit“ (2020).

16 Auch Klaus Wolfram, u.a. Vertreter des Neuen Forums am Zentralen Runden Tisch, benennt die Proteste gegen die Schließung des Kaliwerks in Bischofferode 1993 als eigentliches Ende der Revolution von 1989/90; siehe: Klaus Wolfram/Elske Rosenfeld/Jan Wenzel, Das Gewicht der Stimmen: Wie die Bürgerbewegungen 1990 einen Verfassungsentwurf und neue Öffentlichkeiten schufen, Berlin 2020, https://www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/die-institution/publikationen/publikationen.html, zuletzt aufgerufen 21.4.21.

17 Vgl. hierzu: Karl-Heinz Paqué, Die Bilanz. Eine wirtschaftliche Analyse der deutschen Einheit, München 2009, S.41.

18 Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler bezeichnet es als „Paradoxon“, dass das deutsche Transformationsmodell, trotz wesentlich besserer Ausgangsbedingungen, im osteuropäischen Vergleich, gemessen z.B. am Bruttoinlandsprodukt der neuen Bundesländer, eher mittelmäßig abschneidet. In: Das ostdeutsche Paradoxon, Berlin 2016, S. 43.

19 Siehe z.B. Interviews mit türkischstämmigen Westberlinern in Can Candan’s Dokumentarfilm Duvarlar-Mauern-Walls (2000).

20 Interview mit Peggy Piesche über Lesben in der DDR: „Sichtbarkeit kann niemals nur die eigene sein“, in: Mädchenmannschaft (blog), 26.5.2015, https://maedchenmannschaft.net/interview-peggy-piesche-lesben-in-der-ddr-sichtbarkeit-kann-niemals-nur-die-eigene-sein/, zuletzt aufgerufen 21.4.2021.

21 Bei einem öffentlichen Gespräch im Sommer 2019 im FXHB Friedrichshain-Kreuzberg Museum erinnerte die Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin Peggy Piesche daran, dass der Begriff „Wiedervereinigung“ sich 1990 direkt auf Nazi-Deutschland vor der Teilung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bezog.

22 Siehe z.B. Leserkommentare unter meinen Beitrag zum Thema in der Wochenzeitschrift Der Freitag: Elske Rosenfeld, Transformation – Post-DDR-Geschichte wird gemacht’, 17.2.21, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/post-ddr-geschichte-wird-gemacht, zuletzt aufgerufen 21.4.21.

23 Ilko Sascha Kowalczuk, Historikerstreit über DDR-Forschung: Die Aufarbeitung ist gescheitert, in: Die Tageszeitung, 20.4.2016, http://www.taz.de/!5293270/, zuletzt aufgerufen 21.4.21.

24 Thomas Klein, Erinnerungen an eine Revolution oder Geschichte einer Entfremdung, telegraph (blog), 29.10.2020, https://telegraph.cc/erinnerungen-an-eine-revolution-oder-geschichte-einer-entfremdung/ zuletzt aufgerufen 21.4.21.

25 Kowalczuk, Historikerstreit über DDR-Forschung.

26 Thomas Rogalla, Interview mit Tom Sello: „Das Beste an der DDR war ihr Ende“, in: Berliner Zeitung, 27.11.2017, https://www.berliner-zeitung.de/berlin/interview-mit-tom-sello–das-beste-an-der-ddr-war-ihr-ende–28956728, zuletzt aufgerufen 21.4.21.

Post-DDR-Geschichte wird gemacht

Ende Dezember 2020 habe ich bei Fazit im Deutschlandfunk Kultur mit Vladimir Balzer über das geplanten „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ gesprochen. Ich habe dazu im Nachgang noch ein paar ausführlichere Gedanken formuliert – weil mir eine kritische Debatte zu der geplanten erneuten Institutionalisierung der post-DDR-Aufarbeitung sehr wichtig erscheint. Der Text ist jetzt im Freitag erschienen:

Im April 2019 fiel dem deutschen Innenminister Horst Seehofer ein, dass 2020 das 30. Jubiläum der Wiedervereinigung anstand. Kurzfristig wurden 61 Millionen Euro mittels eines Mechanismus bereitgestellt, der normalerweise Naturkatastrophen und anderen Unvorhersehbarkeiten vorbehalten ist.

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Die rasch zusammengestellte Expertenkommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit – in der übrigens keine (!) einzige (!) nicht-biodeutsche Person zu finden ist – nahm wenig später die Arbeit auf. Diese schloss ihre Arbeit Anfang Dezember 2020 aber, auch Dank Corona, nicht mit den üblichen Feierlichkeiten, sondern mit einem Thesenpapier ab, das sich als ein Bericht zum Stand der Einheit und als Handlungsempfehlung versteht.

Kernstück der Vorschläge ist die Erschaffung eines „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“, möglichst in einem zukunftsweisenden Gebäude, möglichst in der ostdeutschen Provinz. So ein Zentrum solle die Lebensleistung und Umbruchserfahrung der Ostdeutschen würdigen und nutzbar machen für kommende Transformationsprozesse. Das wäre sicher ein Schritt nach vorn. Die Lebensläufe der Ostdeutschen galten im vereinigten Deutschland bislang vor allem als defizitär. Lebensleistung im Osten vor 1989 galt als verdächtig, nach 1990 bestand sie vor allem in einer möglichst reibungslosen Anpassung an das neue System. Ein Perspektivwechsel wäre hier überfällig. Möglich, dass so ein Zentrum ihn leisten will. Doch was würde ein solcher bedeuten und wie könnte eine Institution aussehen, die ihn tatsächlich leisten kann? Die Blickrichtung wechseln hieße, die Erfahrungen des Lebens in der DDR und in der Revolutions- und Transformationszeit nicht nur als Objekt der Beforschung, sondern als Ausgangspunkt einer Befragung des Westens und des neoliberalen Heute zu nehmen – auf seine Widersprüche, sein permanentes soziales, demokratisches, ökologisches Scheitern hin. Es hieße auch, sich dem zuzuwenden, was aus dem Umbruch von 1989/90 an uneingelösten Versprechen und vergessenen emanzipatorischen Praxen liegengeblieben ist. Das ist an erster Stelle die radikale demokratische Selbstermächtigung der ostdeutschen Revolutionärinnen – weit über westliche repräsentative Formen der Demokratie hinaus. Das sind auch die Vorschläge der Runden Tische für eine ökologische Neugestaltung der Wirtschaft, für eine gerechtere globale Ordnung, für die in der DDR behauptete, aber nicht erzielte Geschlechtergerechtigkeit. All dies waren Transformationsvorschläge, die in dem dann vornehmlich von westdeutschen konservativen und neoliberalen Akteurinnen gestalteten Weg in die deutsche Einheit auf der Strecke geblieben sind. Viele von ihnen erscheinen 30 Jahre später so hellsichtig wie aktuell.

Die Transformationsleistung der post-DDR-Bürgerinnen fand ab 1990 also unter dem Vorzeichen nicht nur des Verlustes der politischen, kulturellen und sozialen Koordinaten ihres bisherigen Lebens statt, sondern auch jenes Möglichkeitsraums, den sie sich im Herbst und Winter 1989/90 erkämpft hatten. Stattdessen wurde der Osten mittels der Treuhandanstalt zu einem Labor der anderen Art: einer in Geschwindigkeit und Umfang in Europa einzigartigen Privatisierung und Liquidation einer Volkswirtschaft. Die ostdeutsche Transformationsgeschichte ist deshalb auch eine des Protests. Die Treuhand-Doku „Rohwedder“ rief die mit diesen vergessenen Kämpfen verbundene westdeutsche Angst vor einer „zweiten Revolution“ im Osten vor kurzem eindrucksvoll in Erinnerung. Die Revolution von 1989/90 endete also – nicht immer friedlich – in der als alternativlos kommunizierten Verheerung tausender Arbeitsbiographien und der Niederschlagung jedes Dissens’. Für eine Aufarbeitung in dem geplanten Zentrum wirft all dies Fragen an das Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie auf, auf die das Bild des vermeintlich so demokratieunfähigen Ossis nicht nur die falsche, sondern überhaupt keine Antwort ist. Die Fragen anders zu stellen, wäre der Punkt. Transformationsgeschichte, wie im Titel des geplanten Zentrums angedeutet, (ost)europäisch zu denken, wäre sicher ein Beitrag hierzu. Die post-sozialistische Transformation lässt sich innerhalb einer transnationalen osteuropäischen Geschichte, in der sich durchaus erfolgreichere Alternativen zur deutschen Treuhandpolitik finden lassen, besser verstehen.

Aber auch die deutsche Transformationsgeschichte ist weder rein ost- noch rein biodeutsch. Eine vergleichbare Neuorganisation ihrer durch Deindustrialisierung, Liberalisierung und Sozialrückbau zunehmend präkarisierten Leben wurde wenig später auch Bergarbeitern und Stahlwerkerinnen im Ruhrpott und anderswo abverlangt. Und auch Migrantinnen und nicht-Biodeutsche, wie jene, die der Einigungsvertrag aus bilateralen Abkommen der DDR mit Mosambik, Vietnam und Angola in die Ungewissheit entließ, bauten sich neue Leben auf. Nur taten sie dies noch dazu unter den gewaltvollen Bedingungen eines grassierenden Rassismus und Neofaschismus, der von dem mit der Einheit verbundenen Aufschwung des Nationalen ermöglicht und befördert worden war.

 Hier zeigt sich ein zentrales Problem eines Handlungskonzeptes, dem sein ursprünglicher Auftrag, das nationale Projekt Deutsche Einheit vor allem zu feiern noch überdeutlich anzumerken ist. Einige Vorschläge – Freifahrtscheine für Menschen in Nationalfarben am 3. Oktober, Deutschlandfähnchen für Oberschülerinnen – klingen in Zeiten von Pegida gruselig und, für diejenigen, die sich noch an die DDR erinnern, auf groteske Weise vertraut.

All das wirft im Bezug auf das vorgeschlagene Zentrum eine weitere, über das inhaltliche hinausgehende, Frage auf: Was hieße es, wenn eine staatlicherseits in größerem Umfang bereitgestellte Förderung von Forschung und Austausch an die im Bericht skizzierte zentrale Institution und deren vorgegebenen Auftrag gebunden würde? Ein solches an eine staatlich vorgegebene Setzung geknüpftes Erinnerungsprojekt gibt es im Bezug auf die DDR-Geschichte bereits. Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde 1998, ebenfalls aufgrund der Empfehlungen zweier von der Bundesregierung eingesetzter Enquete-Kommissionen, gegründet. Sie stellt seither Gelder zur Erforschung der DDR-Geschichte bereit, bindet diese aber auch an die Lesart, die ihr bereits im Namen eingeschrieben ist. Thomas Klein hat kürzlich im telegraph beschrieben, wie kleinere, nicht-staatliche Akteure der Aufarbeitung, die andere Ansätze der Historisierung verfolgen hätten können und auch wollen, sich in entweder in Antizipiation „der Erwartungen der fördernden Einrichtung“ oder unter politischem Druck, den Vorgaben dieses wichtigsten Geldgebers beugten. Was in diesem Rahmen nicht erzählt werden konnte, fiel in den letzten drei Jahrzehnten folglich, statt einer differenzierten Aufarbeitung, einer ostalgischen Schattenerzählung eines „Es war doch nicht alles schlecht“ anheim.

Wenn der Staat nun also für eine Aufarbeitung der Transformationsgeschichte/n Geld in die Hand zu nehmen bereit ist – was er dringend sollte –, wäre es wichtig, dass er die Vergabe desselben nicht erneut über politische und begriffliche Vorgaben in bestimmte Richtungen zwängt und andere verschließt. Die Bewertung der deutschen Einheit und Transformation sollte hier nicht bereits, auf die im Bericht anklingende positive Weise Ausgangspunkt, sondern eher Inhalt und Ziel einer zu fördernden offenen und kritischen gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein. Um das zu erreichen, täte eine breite Debatte zur Ausrichtung bzw. eben gerade Offenheit der geplanten Einrichtung not. Der im Bericht formulierte Vorschlag, die Bundesregierung solle zur Ausgestaltung eines detaillierten Konzeptes, der Aufgaben und Ausrichtung des Zukunftszentrum “aus der Kommission heraus eine Arbeitsgruppe berufen”, klingt leider erst mal nicht danach. Parteilinie ick hör dir trapsen. Oder, wer das Geld verwaltet, setzt den Diskurs.

Das Gewicht der Stimmen: Wie die Bürgerbewegungen 1990 einen Verfassungsentwurf und neue Öffentlichkeiten schufen

Das Gespräch zwischen Klaus Wolfram,  Jan Wenzel und Elske Rosenfeld
ist jetzt als HBF Edition #29 erschienen und kann HIER als pdf heruntergeladen werden. Das Heft basiert auf zwei Gesprächen, die ich 2010 und 2020 (mit Jan Wenzel) mit Wolfram geführt habe.  Im Gespräch geht es u.a. um Wolframs Arbeit in dem von ihm 1989 gegründeten BasisDruck Verlag, die Zeitung “die andere”, revolutionäre Öffentlichkeiten und die Möglichkeiten und das Scheitern der Revolution von 1989/90.
Zwei fast zeitgleich im telegraph erschienene Texte seien hier noch zur parallelen Lektüre empfohlen:

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Eine kurzfristig erscheinende Flugschrift von Wolfgang Rüddenklau zur Frühgeschichte des telegraph, Schwesterblatt der von Wolfram (und anderen) heraugegebenen “anderen zeitung”, mit einigen direkten Doppelungen mit Wolfram’s Erzählung.

und

Thomas Kleins ausführliche und detailreicher Abriss Erinnerungen an eine Revolution oder Geschichte einer Entfremdung, der sich im Bezug auf das Scheitern und innere Zerwürfnis der Bürgerbewegungen und die Kritik der Aufarbeitungsszene gut mit den Geschichten von Klaus Wolfram quer lesen lässt.

 

Postost Zine

Am 24.9.2020 hatte das Tanzprojekt PostOst  in den Berliner Sopiensälen Premiere. Ich habe für das Projekt, gemeinsam mit allen Mitwirkenden Anna Hentschel, Zwoisy Mears-Clarke, Pham Minh Duc, Rike Flämig, Claudia Graue, Yvonne Sembene, Emese Csornai, Martyna Poznańska, Josefine Mühle, Maria Rößler und Elena Polzer ein das Stück begleitendes Zine zusammengestellt, das von Kerem Jehuda Halbrecht gestaltet wurde. Dank an Noa Winter und Melmun Barjachuu für ihre diskriminierungsensible Beratung. Das komplette Zine steht HIER zum Download zur Verfügung. Meine Einführung, eine kurze Intro zu Erfahrungen und Forderungen von Frauen in der Revolution von 1989/90 folgt hier:

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POSTOST ist ein Zeitenmixer.

POSTOST lässt uns von 2020 in die ferne Zukunft des Jahres 2090 schauen und von 2020 zurück auf das Jahr 1990. Es lässt uns aber auch aus dem Jahr 1990 auf das Jahr 2020 blicken, auf die Welt zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Heftes.

In diesem Heft reagieren die Projektbeteiligten von POSTOST auf je ein Dokument zu Erfahrungen und Forderungen von Frauen[1] in der DDR und aus der Zeit des Umbruchs ab 1987. Ein Ausgangspunkt des Projektes und vieler Beiträge des Zines ist ein Stapel Forderungspapiere von Frauengruppen und Aktivistinnen, entstanden in den Monaten um die Zeitenwende 1989/90. Auch diese Papiere richten sich an eine unmittelbare Vergangenheit und eine sich rasch wandelnde Zukunft.

Frauengruppen hatten sich in der DDR erst wenige Jahre zuvor sowohl in kirchlich-oppositionellen als auch in akademischen und SED-kritischen Kreisen gebildet. Die Frauen für den Frieden z.B. gründeten sich 1982, um sich im Zuge der drohenden Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen gegen die zunehmende Militarisierung des Staates stark zu machen. Andere Gruppen beschäftigten sich, meist unter dem Dach der Kirche, mit feministischer Theologie und Theorie. Ab 1982 entwickelten erste Lesbengruppen, z.B. in der Berliner Gethsemane-Gemeinde, Praktiken der Selbstermächtigung, des Austauschs und der gegenseitigen Unterstützung.

1989 begann mit dem Aufbrechen der verkrusteten Strukturen und der Auflösung des Repressionsapparates der von den Bürgerbewegungen auf den Weg gebrachte Dialog zwischen Staat und Bevölkerung; Formen des Miteinander-Sprechens über alle Belange der sich neu formierenden Gesellschaft explodierten. Frauen begann sich zu organisieren, gründeten landesweit eine Vielzahl neuer Gruppen, die sich ab dem 3. Dezember 1989 im Unabhängigen Frauenverband (UFV) zusammenschlossen, um ihre Forderungen und Vorstellungen besser in den gesellschaftlichen Gestaltungsprozess einbringen zu können. Wenige Tage später, am 7.12.1989, erkämpften sie sich ihren Platz am Zentralen Runden Tisch der DDR, einem Forum der Vermittlung und Entscheidungsfindung zwischen Opposition und Regierung, wo sie u.a. an einem neuem Verfassungsentwurf mitwirkten.

Frauen und Frauengruppen spielten in den wichtigen Foren und Ereignissen der Umbruchszeit oft eine zentrale Rolle. So wurde z.B. die erste Besetzung einer Stasi-Zentrale in Erfurt am 4. Dezember 1989 von einer Gruppe von Frauen um die Künstlerin Gabriele Stötzer in die Wege geleitet.

Das Manifest „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Einige Frauen-Fragen an ein alternatives Gesellschaftskonzept oder: Manifest für eine autonome Frauenbewegung“ wurde von Ina Merkel (lila offensive) beim UFV-Gründungskongress veröffentlicht. Es behauptete eine Spezifik der Erfahrung von Frauen in einem Staat, in dem eine von oben herzustellende Geschlechtergleichheit offizieller emanzipatorischer Anspruch und Grundlage auf Gleichstellung zielender Sozialpolitiken war. Diese staatliche Behauptung von Gleichheit überdeckte in der DDR aber zugleich die Unzulänglichkeiten dieser Politiken in einem ungebrochen patriarchalen System – und machte diese Widersprüche unadressierbar.

Die Forderungen der Frauen richteten sich 1989/90 aber nicht nur gegen die Versäumnisse und den patriarchalen Duktus des sich auflösenden, vergangenen Staates. „Staat machen“ hieß hier vor allem, die Rolle und Stellung von Frauen in einer gemeinsam entworfenen kommenden Gesellschaft ebenfalls gänzlich neu zu denken.

Die erste DDR-weite Lesbentagung am 25.11. 1989 fiel – lange vorher geplant – eher zufällig ebenfalls in genau diese Aufbruchsmonate. Die Fragen auf dem Einladungsschreiben – Wer sind wir? Wie leben wir? Wovon träumen wir? – stellten sich plötzlich auf radikale Weise im Bezug auf alle Aspekte des eigenen und kollektiven (lesbischen) Lebens. In Arbeitsgruppen wurden Erfahrungen, z.B. als lesbische Mütter oder als Lesben mit Behinderung erstmals öffentlich besprochen[2].

Doch bevor sich all diese Fragen gemeinsam in der radikalen Offenheit des revolutionären Augenblicks besprechen ließen, rasten die Zeiten schon weiter, in eine Richtung, die von vielen der aktiven Frauen weder vorhergesehen noch gewollt war. Das Reformprojekt einer demokratischeren, gerechteren, demilitarisierten und feministischeren Gesellschaft geriet gegenüber dem nun auch von westdeutschen etablierten Kräften vorangetriebenen Projekt einer raschen deutschen Einheit – die das westliche Gefüge von Demokratie, Wirtschaft und Geschlechterrollen unangetastet lassen sollte – ins Hintertreffen. Gruppen wie SoFIA (Sozialistische Fraueninitiative AusländerInnen) warnten früh vor den Folgen des wachsenden Nationalismus und Rassismus. Ostdeutsche schwarze und Frauen of Colour engagierten sich in vielen dieser Initiativen und machten hier eigene Erfahrungen, leider auch der erneuten Ausgrenzung und Diskriminierung. In Dresden lud die im Neuen Forum aktive Ina Röder Sissoko Anfang 1991 schwarze Frauen und Mädchen erstmals zu einem Austausch zu diesen Fragen[3]. Organisierungen wie diese begannen in den frühen 1990ern auch andernorts unter dem Druck der zahlreichen Übergriffe bis hin zu Pogromen gegen – meist vermeintliche – Ausländer*innen[4]. Das Fenster der Möglichkeiten eine solidarische, ökologische, feministische, nicht- oder antinationalistische Gesellschaft neu zu denken hatte sich da bereits geschlossen.

Die Forderungspapiere der Frauen, die in den eiligen Wintermonaten 1990 entstanden waren und von der Archivarin und Protagonistin Samirah Kenawi gesammelt wurden, sind Kartierungen sich stetig wandelnder Zukünfte, deren Gestaltungsmöglichkeiten den Aktivist*innen bereits wieder entglitten.

Die am Zentralen Runden Tisch von Mitgliedern des UFV entwickelte Sozialcharta navigiert diesen Zeitraum. Sie liest sich als eine Reaktion auf die Erfahrungen von Frauen in der DDR und gleichzeitig – und vor allem – als Dokument ihrer Befürchtungen und Erwartungen in Bezug auf die kommende Einheit. Mit dem Papier, das als Grundlage der Aushandlung neuer sozialer Strukturen in einem neuen Gesamtdeutschland verstanden werden kann, wollten die Verfasser*innen einerseits jene Formen der Gleichstellung sichern, welche die DDR dem Westen voraushatte, und andererseits die befürchtete soziale, ökonomische, rechtliche Abwertung von Frauen im neuen System verhindern. Aus dieser Charta konnte im Einigungsprozess lediglich – und auch das nur unter dem Druck von ost- wie westdeutschen Frauen – das liberalere Abtreibungsrecht[5] der DDR in das vereinigte Deutschland gerettet werden. Darüber hinaus ist die Zukunft, welche die Frauen in den Papieren entwerfen, nicht eingetroffen. Ihre Ideen und ihre Namen sind heute kaum im öffentlichen Bewusstsein. Was könnte es heißen, diese Ideen heute als Forderungen und Visionen neu ins Spiel zu bringen? Welche Zukünfte laden uns heute, 2020, ein zu imaginieren? Wie ließen sich diese historischen und hochaktuellen Forderungen mit gegenwärtigen queerfeministischen, intersektionalen, ökologischen Feminismen aufmischen, updaten, neu mischen?

Elske Rosenfeld, September 2020

[1] Wir verwenden in diesem Text den im zeitlichen Kontext verwendeten, selbstgewählten und nicht trans-inklusiven, binären Begriff „Frauen“. Einige der damaligen Aktiven identifizieren sich heute nicht mehr als Frauen. Eine Sprache für trans- und nicht-binäre (Selbst)identifizierungen und die damit verbundenen Möglichkeiten stand auch in den oppositionellen Frauen- und Lesbengruppen damals kaum zur Verfügung.

[2] Organisierungen von Menschen mit Behinderung in der DDR sind bislang kaum historisch aufgearbeitet worden; bekannt ist aber z.B. die selbstorganisierte Landkommune um den 2020 verstorbenen Behindertenaktivisten Matthias Vernaldi in Hartroda/Thüringen.

[3] Siehe hierzu das Gespräch zwischen Ina Röder Sissoko und Suza Husse in „Longing is my favorite material for engaging holes“ in Suza Husse, Elske Rosenfeld (Hg.), wildes wiederholen. material von unten. Dissidente Geschichten in DDR und pOstdeutschland #1, 2019

[4] Das Ausstellungsprojekt und Buch Labor 89. Intersektionale Bewegungsgeschichte*n aus West und Ost von Peggy Piesche (Hg.) und Nicola Lauré al-Samarai (Hauptautorin) ist den Erfahrungen und Organisierungen von BIPoC in der DDR und der Transformationszeit gewidmet.

[5] Laut DDR-Recht entschieden Schwangere während der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft allein, ob sie diese austragen oder abbrechen wollten.

Wackeliges Gedenken

In diesem im Freitag erschienenen Text gehe ich der Frage nach, wie die Geschichte der von den Ostdeutschen so gewollten Einheit derart wirkmächtig werden konnte, dass sie nicht nur von ihren Profiteuren (und maßgeblichen Autoren), den westdeutschen Konservativen, sondern auch von vielen, denen sie im Prinzip schadet – den Ostdeutschen und den Linken Ost wie West – bis heute quasi unhinterfragt angenommen wird. Ein Vorschlag, diese Geschichte ab 2020 noch einmal anders zu schreiben.

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“Kommt die DM bleiben wir, kommt sie nicht geh’n wir zu ihr.“ So steht es auf einem Banner einer Demonstration in Leipzig im Winter 1990. Die Behauptung der Alternativlosigkeit der deutschen Einheit, von Währungsunion und Treuhand-Privatisierungen ruht auf Bildern wie diesen – Zeugnissen eines scheinbar eindeutigen Willens der DDR-Bevölkerung. 2014 nahm die hörenswerte Deutschlandfunk-Reihe „Deutsche Rufe“ das Banner unter die Lupe und fragte, warum es statt an den DDR-üblichen Holzlatten an Bambusstäben befestigt ist. War der Spruch eine westdeutsche Erfindung? Wurde er, qua diesem Banner, unter das demonstrierende Ost-Volk gebracht, wie später die „Wir sind das Volk“-Aufkleber der Bundes-CDU? Gegen eine Geschichte der Wiedervereinigung als glückliches Ende der 89-er Revolution war so ein Bambusstab im Feierjahr 2014 ein reichlich dünnes Argument.

Im Feierzyklus des letzten Jahres war das Gedenken schon wackeliger. Im Nachgang des lautstarken Rechtsdrifts ostdeutscher Unmutsäußerungen – und leider erst dann – ist ab 2014 ein längst überfälliger Prozess der Aufarbeitung der sozialen und biografischen Verheerungen und kulturellen Überschreibungen der Nachwendejahre in Gang gekommen, einschließlich der millionenfachen Abwanderung von Ost nach West, nicht trotz, sondern wegen der Währungsunion. 2019 haben sich zu den kritischen Stimmen einer neuen Generation jüngerer Historikerinnen, Journalistinnen und Aktivistinnen auch endlich die bislang fehlenden Perspektiven von Schwarzen Ostdeutschen, LGBTI, Vertragsarbeiterinnen, Feministinnen in der DDR gesellt.

Ausweitung des Erinnerns

Debattenbeiträge bislang wenig gehörter Protagonisten der 89-er Revolution fordern deren Erzählung als zwangsläufiger – und glücklicher – Werdegang von Mauerfall zu Wiedervereinigung heraus. Als der DDR-Oppositionelle und Verleger Klaus Wolfram die Entwicklung desselben Jahres in einer Rede in der Akademie der Künste als wenig feiernswerte Wandlung einer „ostdeutschen Generalaussprache“ in ein „westdeutsches Selbstgespräch“ über den Osten beschrieb, war die Aufregung groß. In Reaktionen auf seinen Beitrag wurden erneut bewährte Figuren der (Nach)Wende-Geschichtsschreibung bemüht. Doch gerade das Bild des „Jammerossis“ bedarf, um zu funktionieren, genau jene Geschichte einer so und nicht anders gewollten Einheit – und daher unverständlichen ostdeutschen Enttäuschung –, die Wolframs Einwurf hinterfragt. Auch die Demokratieunfähigkeit der Ostler lässt sich erst dann behaupten, wenn 89/90 als die radikale demokratische Selbstermächtigung, die dieses Ereignis eben auch war, aus dem kollektiven Erinnern verschwunden ist. Das ist die Geschichte der Runden Tische, Bürgerkomitees, der spontan gegründeten Räte in Städten, Betrieben, ja selbst in Gefängnissen; der hier entwickelten Vorschläge für eine ökologisch und sozial ausgerichtete Wirtschaft, der Experimente mit Eigentumsformen z.B. von Wohnraum oder Betrieben, oder einer Sozialcharta, die zunächst eine reformierte DDR, dann den kommenden gesamtdeutschen Sozialstaat gerechter, ökologischer und feministischer als den westdeutschen gestalten wollte. Eine Geschichte die, wenn nicht gänzlich vergessen, dann doch abgetan wird und wurde, als Fantastereien einer kleinen Minderheit bürgerbewegter Utopisten, die 1990 den vernünftigeren Wünschen der Mehrheit nach D-Mark und Einheit gewichen sind.

Genau diese Austragung der radikaldemokratischen, ökologischen, sozialen, feministischen, antimilitaristischen und, ja, auch anti-nationalistischen Aspekte der Revolution von 89/90 hat es ermöglicht, dass sich deren unvollendete Geschichte 2019 von einer rechten „Alternative für Deutschland“ als Wahlkampfmittel für eine rassistische, antifeministische und antidemokratische Agenda aneignen lassen hat. Ein alternatives Erinnern an 1989 könnte dieser rechten Besitznahme entgegentreten, indem es die Ereignisse als sehr konkrete emanzipatorische, ja linke, Erfahrung inhaltlich ausfüllt und auf Anschlüsse ins heute prüft. Warum hat es eine solche andere Erzählung, trotz der begrüßenswerten personellen Ausweitung des DDR-Erinnerns, bis heute so schwer?

Die Behauptung der genau so gewollten Vollendung der Revolution in der deutschen Einheit ruht auf den Volkskammerwahlen vom 18. März 1990. 48 Prozent der Wählerinnen gaben an diesem Tag ihre Stimme der aus CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch zusammengeschlossenen Allianz für Deutschland, die sodann den von westdeutschen Konservativen und Marktliberalen bevorzugten raschen und möglichst bedingungslosen Anschluss der DDR an den Geltungsbereich des Grundgesetzes auf den Weg brachte. Die Wahlen werden bis heute als ein Referendum zur deutschen Einheit gewertet, in welchem sich, wie es oft heißt, „die Mehrheit“, oder die „DDR-Bevölkerung“ als Ganze von den Ideen der Bürgerbewegungen trennte, und für D-Mark und schnellstmögliche Einheit entschied. Nun sind 48% Allianz-Wählerinnen schon rechnerische keine Mehrheit gegenüber den 52% der Wählerinnen anderer Wahllisten. Es gibt aber auch gute Gründe, die Gleichsetzung „Wahlergebnis = Volksentscheid zur Einheit“ grundsätzlicher zu hinterfragen. Denn obwohl die Stimmenmehrheit der Allianz von der neuen DDR-Regierung als prinzipielle Einwilligung der Wähler in alle ihrer darauffolgenden Sachentscheidungen herangezogen wurde, ergaben zeitgleiche Meinungsumfragen zu konkreten Fragen, z.B. zu einer neuen DDR-Verfassung, durchaus deutlich abweichende Meinungsbilder. Von einer Einheit nach DDR-„Volkes Willen“ lässt sich auch insofern nicht sprechen, als die Bundesregierung in den Verhandlungen fast alle aus der Revolution geerbten sozialen und ökologischen Vorschläge dieser gewählten DDR-Regierung ablehnte. Deren „idealistischer Grundton“ – wie es in einer internen Notiz heißt – kam beim Kanzleramt nicht gut an.

Wachsende Unzufriedenheit

Noch interessanter wäre zu fragen, welche Vorstellungen eines kommenden vereinten Deutschlands sich überhaupt mit den Entscheidungen der Wählerinnen im März verbunden hatten. „Ein einiges Deutschland mit größter sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit. Ein einiges Deutschland, in dem Volkseigentum an Produktionsmitteln eine wirtschaftliche Größe im wahrsten Sinne des Wortes wird,“ forderten im Januar 1990 Belegschafter der Kokerei des VEB BV Lauchhammer. Eine rasch wachsende Unzufriedenheit der (post-)DDR-Bevölkerung lässt sich auch an der steigenden Anzahl von Streiks und Protesten im Frühjahr und Sommer 1990 ablesen, die sich zu einer massiven Bewegung ausweiten sollte.

Dass diese massiven und fortdauernden demokratischen Proteste bis heute weder wirklich Beachtung gefunden haben, noch an dem Bild der „demokratieunfähigen Ostdeutschen“ kratzen konnten, ist ebenfalls eine Folge der schon erwähnten zirkulären Geschichtsschreibung: Wer behauptet, das Aufbegehren von 1989/90 habe – die kleine Gruppe bürgerbewegter Utopisten ausgenommen – allein auf ein Erlangen von Reisefreiheit, Demokratie und Meinungsfreiheit bestehender westlicher Ausprägung und eine Teilhabe am bundesdeutschen Konsum und Wohlstand abgezielt, wird in den Protesten der ostdeutschen Arbeiterinnen keine Fortsetzung eines revolutionären Impulses erkennen können. Die Proteste sind entsprechend als Reaktionen auf einen so bedauerlichen wie unvermeidlichen Rückbau überflüssiger Arbeitsplätze im Osten abgetan worden. Die wenigen verfügbaren zeitgenössischen und aktuellen Befragungen von Beteiligten zeigen aber, dass die betrieblichen Proteste der 90er Jahre auch immer von einem tief empfundenen, im Herbst und Winter 89/90 erlernten Anspruch auf betriebliche Mitbestimmung angetrieben wurden. Mit ihrer Forderung nach Selbstbestimmung hatte die Handvoll Bürgerbewegter eine neues demokratisches Selbstverständnis losgetreten, dessen Nachwirken in alle Bevölkerungsschichten hinein sie selbst weder kontrollieren, noch in voller Konsequenz (an)erkennen konnte. Die Inhalte, die Sprache, die Ikonographie der betrieblichen Protestbewegung der frühen 90er legen den Schluss nahe, dass die revolutionäre Anmaßung des Herbstes 89 – sich endlich selbst vertreten zu wollen – tatsächlich erst 1993 mit den Kämpfen in Bischofferode und anderswo niedergeschlagen wurden.

Die Bürgerbewegten der ersten Stunde, darunter Klaus Wolfram und Bärbel Bohley, waren in Bischofferode noch einmal dabei. Auch ihr Kampf hatte im Oktober 1990 nicht aufgehört. Stellvertretend für viele sei hier die Geschichte von Ingrid Köppe erzählt, einer Kollegin Klaus Wolframs vom Runden Tisch, später eine von acht Vertreterinnen der Bürgerbewegungen im ersten gesamtdeutschen Bundestag. Köppe machte sich dort für Abschaffung der bundesdeutschen Nachrichtendienste stark und stimmte gegen die Verschärfung des Asylrechts. Unzufrieden mit den Kürzungen eines von ihr verfassten Untersuchungsberichts zur SED-Devisenbeschaffung, veröffentlichte sie einen Bericht zu westdeutschen Verwicklungen. Als der 1994, trotz seiner Einstufung als geheim, öffentlich wurde, leitete man ein Verfahren gegen sie ein. Köppe lehnte in Folge das Bundesverdienstkreuz ab und zog sich aus der öffentlichen Debatte zurück. Ingrid Köppe begann ihre Aufarbeitung der Aufarbeitung am eigenen Leibe zweieinhalb Jahrzehnte zu früh. Sind wir 2020 so weit?