Politisieren, nicht Pathologisieren

Zum Artikel „Die Frustration sucht ein Ventil” , FR, 14.10.17. Keine Leseempfehlung, sondern ein Einspruch gegen ein Paradebeispiel einer Psychologisierung des Politischen. Schade, denn nur andersherum, durch die Politisierung des Psychologischen, würde ein Schuh draus – gerade wenn man das mit der Stärkung der Demokratie im Osten ernst meinte.

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Was der Text macht, ist, die hier noch dazu dezidiert als nicht-bürgerlich markierte (d.h. als “anders als ich/wir” deklarierte) Wählerschaft/Sympathisant*innen der AfD zu pathologisieren, im Prinzip zu erklären, sie seinen aufgrund ihrer psychologischen Beschädigung und nichtbürgerlichen Sozialisierung nicht geeignet, sich politisch rational zu verhalten, sich also als Subjekte einer Demokratie zu qualifizieren. Um diesen Status zu erreichen müssten sie, so der Autor, zunächst umerzogen werden. (Autoritärer gehts nimmer).

Gegenvorschlag wäre: zu verstehen versuchen, ob und wie hinter den Wahlentscheidungen dieser Personen auch durchaus rationale/ nachvollziehbare Interessen und Beweggründe stecken könnten. Ob sie also eine zunächst nachvollziehbare Reaktion auf historische Verhältnisse oder Vorgänge (die Erfahrung der DDR-Diktatur und der Verheerungen der 1990er Transformationsprozesse, die unzureichende gesellschaftliche Bearbeitung von beiden) sind, und dann zu fragen, warum diese sich auf eine solche – pathologische, reaktionäre – und nicht auf eine andere Art und Weise äußern, oder vielleicht sogar unter den gegenwärtigen Umständen, mangels Alternativen fast nur so äußern können. Dann versuchen, diese äußeren Umstände entsprechend zu ändern und tatsächliche “Alternativen” zu schaffen. Et voilá da wäre sie, die Gelegenheit für unser aller politisches Engagement und Aktivierung.

Tagung “Ostwind”

Die unglaublich wichtige Tagung “Ostwind – Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994” findet nächstes Wochenende im Haus der Demokratie statt. Ein erster Versuch, die völlig vergessene bzw. schon damals ignorierte Geschichte der Arbeitskämpfe ab 1989/90 in der post-DDR aufzuarbeiten, oder zunächst überhaupt erst einmal in Erinnerung bzw. das Bewusstsein zu rufen.

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“Es ist höchste Zeit, sich dieser vergessenen Bewegung wieder zu zuwenden, zumal Ostdeutschland namentlich von jungen Aktivist/innen häufig nur als Hort von Rassismus und Nationalismus wahrgenommen wird. Wenn jedoch die Entwicklung in Ostdeutschland auf diese Vorgänge reduziert bleibt, gerät aus dem Blick, dass es zeitgleich eine emanzipatorische betriebliche Basisbewegung gab. Zum besseren Verständnis einer in Ostdeutschland erstarkten rechten Bewegung gehört es aber auch, die dramatischen sozialen Umbrüche und die Niederlagen der Protestbewegung der 1990er Jahre danach zu befragen, inwieweit sie zu massiven Entsolidarisierungsprozessen führten und damit rechtsradikale Ideologien stärkten.”

“Causa Holm”, FAQ

FAQ zur Holmdebatte, veröffentlicht am 05.04.2017

Hat Andrej Holm gelogen? – Ein Faktencheck

Nach der Bestellung von Andrej Holm als Staatssekretär für Wohnen in Berlin wurde intensiv über seine fünfmonatige Tätigkeit in den Jahren 1989/90 beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seinen Umgang damit diskutiert. Ein von ihm im Zuge seiner Anstellung an der Humboldt-Universität zu Berlin vorgeblich falsch ausgefüllter Fragebogen ist zum Gegenstand einer zum Teil aufgeregt geführten Debatte in Tageszeitungen, Politik und sozialen Medien geworden.

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In diesen Debatten haben viele Vermutungen, Behauptungen und Vorwürfe eine Eigendynamik erhalten und sich zu dem Bild verfestigt, Andrej Holm sei nicht offen mit seiner Stasivergangenheit umgegangen. Von Lügen, arglistigen Täuschungen und Erinnerungslücken ist die Rede. Doch stimmt das überhaupt?

Ein F.A.Q. der AG #holmbleibt-Recherche (Kerstin Meyer, Elske Rosenfeld, Enrico Schönberg)

Kompletter Text unter:

http://wirbleibenalle.org/?cat=915

Zur “Causa Holm”, Gespräch am 29.1.2017

Audio: Diskussion „Eine unlautere Debatte“ – Wolfhard Pröhl und Peter Neumann zur Debatte um Andrej Holm // vom 29.01.2017

> Link zum Audiomitschnitt unseres Zeitzeugengesprächs mit Wolfhard Pröhl und Peter Neumann im besetzten Institut für Sozialwissenschaften an der HU (mit Kerstin Meyer und Enrico Schönberg)

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Beide waren beteiligt an der Auflösung von Stasi-Strukturen 1989/90 und in der Nachwendezeit. Peter Neumann war Mitglied der Projektgruppe zur Stasi-Auflösung in der Verwaltung für Inneres in Berlin und Wolfhard Pröhl beteiligte sich an der Stasi-Auflösung in Dresden. Beide positionierten sich sehr eindeutig in der Debatte um Andrej Holm. In der Veranstaltung vom 29.01.2017 beschreiben sie den Umgang mit Stasimitarbeitern und IMs zum Ende der DDR und erklären, warum es ihnen in der aktuellen Debatte so leicht fällt, für Andrej Holm Position zu beziehen.

Zur “Causa Holm”, Teil 2

Facebookposting vom 19.01.2017 zur Erklärung von Prof. Dr. Kunst (Präsidentin der HU) zur Entlassung Andrej Holms: Weil Frust going on Verzweiflung produktiv macht, hier meine Einschätzung der Einschätzung von Frau Kunst in Sachen Holm:
Die Präsidentin der HU hat gestern eine “Erklärung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Herrn Dr. Holm” veröffentlicht.

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Die Entlassung wird im 4. Absatz  damit begründet, dass “Herr Dr. Holm die HU hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten hat.”

Im letzten Absatz wird die Begründung um einen weiteren Punkt ergänzt: Die Entlassung wird hier damit begründet, dass:

1/Holm falsche Angaben gemacht habe

2/diese nicht bedaure

3/und auf “Erinnerungslücken” beharre.

Zu den drei Punkten habe ich folgende Anmerkungen:

Zu 3/Ob und an was sich Andrej Holm erinnert, kann außer ihm niemand beurteilen. Es gibt meines Wissens keinerlei Verfahren, durch die sich seine genauen Erinnerungen zum Zeitpunkt der Angaben überprüfen ließen. Es gibt folglich auch keinerlei Art nachzuweisen, dass seine Erinnerungslücken eine Erfindung wären.

Das er auf diesen “beharrt” kann heißen: er lügt, und zwar hartnäckig, oder: er sagt die Wahrheit und kann daher seine Meinung auch nicht ändern.

Ohne besagte hypothetische Verfahren wird hier nicht zu klären sein, welche der beiden Optionen der Wahrheit entspricht. Daraus sollte sich, meines Erachtens ableiten, dass diese Frage nicht zu einer arbeitsrechtlichen Beurteilung des Falls Andrej Holm geeignet ist. Der Fachausdruck heißt, glaube ich, „in dubio pro reo“.

Zu 1/ Als falsche Angabe bewertet Frau Kunst in der Erklärung seine Aussage, im Wachregiment Feliks Dzierzynski Mitglied gewesen zu sein. Da diese nicht der Wahrheit entspräche, handle es sich um eine “arglistige Täuschung”. (Abs. 6)

Tatsächlich absolvierte A.H. seine militärische Grundausbildung laut Stasiakte nicht beim Wachregiment, sondern bei der Wach- und Sicherungseinheit der Bezirksverwaltung Berlin.

Nun ist es so, dass zwischen dem Wachregiment Feliks Dzierzynski und den Wach- und Sicherungseinheiten tatsächlich zahlreiche Überschneidungen gab. So übernahmen beide Diensteinheiten teilweise dieselben Aufgaben, z.B. des Wach- und Sicherungsdienstes. (siehe z.B.: Wikipedia-Artikel zum Wachregiment Feliks Dzierzynski)

Nach einem Befehl vom Juli 1989 (also wenige Monate vor Andrej Holms Beginn seiner Stasi-Ausbildung) sollte zudem die „Schule WSE“ aus der Hochschule des MfS herausgelöst und als Offiziersschule zur Ausbildung für den militärisch-operativen Wach- und Sicherungsdienst in das WR »F. E. Dzierzynski« eingegliedert werden (siehe Roland Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS 1950–1989.Eine organisatorische Übersicht MfS-Handbuch. Hg. BStU. Berlin 2012. S. 402 (http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Publikationen/Publikationen/handbuch_diachrone_wiedmann.pdf?__blob=publicationFile)

Eine Unterscheidung bzw. klare Abgrenzung zwischen Wach- und Sicherungseinheit und dem Wachregiment Felix Dzierzynski scheint also sowohl objektiv, als auch in der von Andrej Holm geschilderten subjektiven Wahrnehmung nicht immer ganz einfach.

Hätte Andrej Holm die HU bewusst täuschen wollen um damit seine Stasi-Mitarbeit, wie es so oft hieß, zu “verharmlosen”, hätte ein Ersetzen der Angabe WSE durch die Angabe Wachregiment Felix Dzierzynski keinen Sinn ergeben. Der Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen behandelte z.B. im Tätigkeitsbericht von 2000 unter „Bewertung des Wehrdienstes beim Wachregiment ‘Feliks Dzierzynski’ bzw. einer Wach- und Sicherungseinheit einer Bezirksverwaltung des MfS beide Einheiten in seinem Jahresbericht als analog (http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/2934/tätigkeitsbericht-2000-des-landesbeauftragten-des-freistaats-thüringen-für-die-unterlagen-des-staatssicherheitsdienstes-der-ehemaligen-ddr-gemäß.pdf ). Im Bericht heißt es dort weiter: “Vor diesem Hintergrund vertritt der Landesbeauftragte die Auffassung, dass diejenigen, die lediglich ihren Wehrdienst im Wachregiment ‚Feliks Dzierzynski’ abgeleistet haben, keine wahrheitswidrige Aussage machen, wenn sie die Frage nach einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS im Zusammenhang mit einer Einstellung im öffentlichen Dienst verneinen. Analog einem Wehrdienst im Wachregiment des MfS ‚Feliks Dzierzynski’ wird vom Thüringer Landesbeauftragten der Wehrdienst in der Wach- und Sicherungseinheit einer Bezirksverwaltung (BV) des MfS gewertet.” (S. 16)

Ähnlich urteilt Wolfhard Pröhl im Telegraph zur damaligen Einschätzung zu Menschen mit einem solchen Dienstgrad und Dienstdauer durch mit der Stasiauflösung betraute DDR-Bürgerrechtler. http://telegraph.cc Die Behauptung, es läge eine „arglistige Täuschung“ vor, scheint angesichts dieser Ausgangslage fraglich.

Zu 2)

Laut ihrer Erklärung hat Frau Kunst Andrej Holm nicht entlassen, weil er 1989/90 kurz für das MfS tätig war, sie hat ihn auch nicht (nur) entlassen, weil er darüber – ihrer Ansicht nach – im Zusatzfragebogen der HU 2005 falsche Angaben gemacht habe, sondern weil er diese mutmaßlichen Falschangaben nicht bedaure.

Hier dreht sich die Begründungsspirale für Andrej Holms öffentlicher Verurteilung der letzten Wochen noch eine Runde weiter ins Absurde.

Dass Andrej Holm sein Vorgehen im Fragebogen bedauert, setzt voraus, dass er wissentlich falsche Angaben gemacht und betrogen hat, sich also absichtsvoll inkorrekt verhalten hat. Wenn Andrej Holm seine Angaben 2005 nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat, wie er behauptet, würde ein Bedauern keinen Sinn machen. Ob Andrej Holm seine Angaben 2005 nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat, kann weder Frau Kunst noch sonst irgendjemand außer Andrej Holm zweifelsfrei beurteilen (siehe Punkt 3). Es scheint aber angesichts der unter 1) erwähnten Fakten, und in Anbetracht der Einschätzung des Fragebogens durch die einzigen beiden Experten in Sachen Fragebogen, die sich bislang in der Angelegenheit geäußert haben (Wolfhart Pröhl auf http://telegraph.cc und Peter Neumann,(http://www.tagesspiegel.de/berlin/debatte-um-andrej-holm-buergerrechtler-stasi-fragebogen-nicht-mehr-zeitgemaess/19229772.html) in keinster Weise ausgeschlossen, dass Andrej Holm den Fragebogen tatsächlich, nach bestem Wissen (seines damaligen Kenntnisstands) und Gewissen beantwortet hat. In dem Fall ist die Frage einer öffentlichen Bekundung des Bedauerns hinfällig.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass von den genannten Gründen für Holms Entlassung nur einer tatsächlich überprüf- und belegbar ist – die der Falschaussagen. Die beiden anderen Vorwürfe würden nur Sinn ergeben, wenn diese Frage zweifelsfrei zu AH’s Ungunsten entschieden worden, bzw. überhaupt zweifelsfrei entscheidbar wäre.

Die Beurteilung von Holms Angaben als „falsch“ sind zudem stark interpretationswürdig. Eine solche Beurteilung wird heute anhand von Angaben aus Holms Stasiakte vorgenommen, die ihm damals nicht bekannt gewesen sein muss. Die Beurteilung und Einordnung von Holms Status von Seiten und in der Terminologie des MfS wird zum Maß der Wahrheit gemacht. So wird die Arbeit dieser Behörde 27 Jahre nach ihrer Auflösung zum Maß der Beurteilung von Wahrheit und Unwahrheit, und bestimmend für das heutige Schicksal einer Person, gemacht.

Meine Beurteilung stützt sich auf Recherchen einer Gruppe von Interessierten aus diversen Stadtinitiativen.

Zur “Causa Holm”, Teil 1

Text mit und für Bizim Kiez zur “Causa Holm” vom 20.12.2016

Bizim Kiez hat sich als Mitunterzeichner des Offenen Briefs der stadtpolitischen Initiativen bereits öffentlich mit Andrej Holm solidarisiert. Hier haben einige von uns noch einmal ein paar der Argumente, die gegen Holm vorgebracht werden, unter die Lupe genommen, um aufzuzeigen, mit welchen rhetorischen und ideologischen Mittel hier vorgegangen wird und wer sich in den Anfeindungen der letzten Tage durch besonders extreme Zuspitzungen hervorgetan hat. Gleichzeitig eine Art Presseschau/ aktueller Stand der „Debatte“:

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Die Ernennung Andrej Holms zum Staatsekretär für Wohnen hat das Potential, eine neue Etappe in der Berliner Mietenpolitik einzuleiten. Eine solche Neuorientierung könnte möglicherweise tatsächlich endlich (!) nicht nur für die immobilienwirtschaftlichen Profiteure gefährlich werden, sondern auch einen Bruch mit den bisherigen, von Holm wiederholt kritisierten, Politiken der Berliner Fraktionen bedeuten. Doch bevor Andrej Holm die Gelegenheit bekommt, sich an den bürokratischen und realpolitischen Gemengelagen der Berliner Stadtpolitik die Zähne auszubeißen – im besten Falle nicht ohne positive Effekte für die Lage der ärmeren Berlinerinnen –, muss er nun zunächst den Hürdenlauf durch den üblichen, fast schon reflexhaft errichteten Parcours der jüngeren deutschen Geschichtsaufarbeitung absolvieren – mit ungewissem Ausgang. In der Presse und von Politiker*innen verschiedener Parteien werden vermeintliche wie reale, nachvollziehbare Befindlichkeiten von Opfern des DDR-Staatsterrors und Stasiwillkür ins Feld geführt, um ihn für ein solches Amt als untragbar zu präsentieren und eine Zurücknahme dieser Personalentscheidung zu erzwingen.

Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte hat in den letzten 26 Jahren immer wieder für eine Generalabrechnung mit jeglicher Art linker Praxen oder Positionen herhalten müssen. (Dass sie heute dafür herhalten kann, ist nicht zuletzt leider auch Folge des weitgehenden Desinteresses einer westdeutschen Linken, die das Feld einer ernsthaften, kritischen Auseinandersetzung mit dem Versagen des Staatssozialismus nach und vor 1989 nahezu kampflos der Rechten überlassen hat… das aber nur am Rande.) Entlang jener ideologischen Motive der DDR-Aufarbeitung werden Holm nun also wahlweise oder auch gleichzeitig drei verschiedene Vergehen vorgeworfen, durch die er sich für ein derartiges Amt disqualifiziert habe, und zwar: 1/sein tatsächliches Verhalten 1989, 2/ sein heutiger Umgang mit seiner Vergangenheit und, 3/ sein vermeintlich fehlender Gesinnungswandel seit dem Ende der DDR.

Vorwurf 1 basiert auf der Einschätzung, dass jedwede Mitarbeit bei der Stasi (unabhängig von Alter, familiärem Hintergrund, Dienstgrad, Dauer, oder auch konkreten Formen und Inhalten der Mitarbeit) Personen lebenslänglich für öffentliche Ämter oder Positionen disqualifiziere. (siehe z.B.: https://blogs.faz.net/…/linksruck-der-staatssekretaer-und-…/) Das ist eine Generalverurteilung, die selbst von vielen ehemaligen Dissident*innen so nicht geteilt wird, siehe z.B. Wolfgang Thierses Intervention, in der er die Vorwürfe gegen Holm als „einigermaßen unanständig“ bezeichnet. (http://www.berliner-zeitung.de/…/umstrittener-staatssekreta… und http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vergangenh…/14988788.html)

Punkt 2 ist, zumindest scheinbar, etwas komplexer. Holm hat schon lange ohne Beschönigung und ohne Not oder äußeren Druck über seine MfS-Mitarbeit gesprochen. (vergleiche hierzu das Statement seiner telegraph-kollegen: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/) Vor einer breiteren Öffentlichkeit äußerte er sich hierzu 2007 in einem sehr lesenswerten taz-Interview, u.a. mit Dirk Teschner (http://m.taz.de/!5189906;m/). Nach der Offenlegung seiner Kaderakte wird ihm nun vorgeworfen, bei seiner Selbstauskunft vor seiner Anstellung an der Humboldt-Uni seine MfS-Mitarbeit unzureichend genau bzw. falsch angegeben zu haben. Er hatte hier unter der Rubrik Wehrpflicht seine Ausbildung beim als solches bekannten Stasi-Wachregiment “Feliks Dzierzynski” aufgelistet, eine Stasi-Mitarbeit aber verneint und auf den Eintrag zur Wehrpflicht verwiesen. (siehe dazu Andrej Holms Richtigstellung vom 14.12. 2016, z.B.: http://www.berliner-zeitung.de/25294840 und https://www.taz.de/Andrej-Holms-Stasi-Vergangenhe…/!5364040/). Vorgeworfen wird ihm nun genau genommen, die Ausbildung bei dem Stasi-Wachregiment nicht konform mit der stasiinternen Einordnung seines Dienstverhältnisses bereits als Stasi-Mitarbeit eingestuft zu haben (von der er damals durchaus nicht notgedrungen Kenntnis gehabt haben muss). (http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html). Tatsächlich kommt der Landesbeauftragte des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in einem Tätigkeitsbericht von 2000 aber zu folgendem Urteil: „Der allgemeine Wehrdienst im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ war als Dienst auf Zeit abzuleisten. Während dieser Zeit waren die Wehrdienstleistenden als hauptamtliche Mitarbeiter des MfS registriert, weil das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ eine Struktureinheit des MfS war. … Vor diesem Hintergrund vertritt der Landesbeauftragte die Auffassung, dass diejenigen, die lediglich ihren Wehrdienst im Wachregiment ‚Feliks Dzierzynski’ abgeleistet haben, keine wahrheitswidrige Aussage machen, wenn sie die Frage nach einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS im Zusammenhang mit einer Einstellung im öffentlichen Dienst verneinen.“ (http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/2934/tätigkeitsbericht-2000-des-landesbeauftragten-des-freistaats-thüringen-für-die-unterlagen-des-staatssicherheitsdienstes-der-ehemaligen-ddr-gemäß.pdf)

Das ist eindeutig.

Aufschlussreich und zugleich hochgradig ideologisch wird es bei Anschuldigung 3: Robert Ide setzt im Tagesspiegel gleich mal ohne jeglichen Anflug von Scham Anti-Gentrifizierungspolitik (inklusive bestehender Beschlüsse einer demokratisch gewählten Berliner Stadtregierung zur Zweckentfremdung) mit Stasi/Spitzelmethoden gleich: “Wenn nur genügend offiziellen und inoffizielle Mitarbeiter zum verschärften Überwachen und Strafen bereit stehen, könnte so mancher in der Ferienwohnungsindustrie bald aufheulen.”

(http://www.tagesspiegel.de/…/berlins-neuer-st…/14969070.html)

F.A.Z.-Journalist Rainer Meyer vermutet in der FAZ hinter der Personalie Holm und dessen politischem Richtungswechsel eine Wiedereinführung des Staatssozialismus (https://blogs.faz.net/…/linksruck-der-staatssekretaer-und-…/, siehe auch http://www.rbb-online.de/…/cd-mueller-soll-holm-als-staatss…).

Über die Person Holm als „Hausbesetzender Investorenhasser mit STASI-Vorgeschichte” (ibid.) wird eine Kontinuität zwischen Stasiterror und DDR-Unrecht und heutiger linker politischer Arbeit herbeikonstruiert, die von den vielen linken, bzw. jenen links gebliebenen unter den Dissident*innen, Umwelt- und Friedensaktivist*innen der DDR als ein Schlag ins Gesicht empfunden werden muss, von denen sich viele damals wie heute ein mutiges politisches Leben auf der immer wieder, immer noch falschen Seite der politischen Machtverhältnisse zugemutet haben. Eine solche konstruierte Kontinuität wird auch Holms Lebenslauf nicht gerecht, der sich nach 1990 in den bürgerbewegten Kontexten der Vereinigten Linken und des telegraph sicher einige Fragen zu seiner Biographie hat stellen lassen müssen (und, wie es in einer akutellen Stellungnahme des telegraph heisst, auch stellen hat: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/).

Hierzu wäre noch anzumerken, dass die CDU selbst, aus deren Reihen wenig überraschenderweise ein paar der lautesten Anfeindungen Holms kommen, im Umgang mit komplizierten DDR-Biografien der eigenen Mitglieder (wie auch der unrühmlichen Rolle der Ost-CDU als Teil des DDR-Staatsapparats) interessanterweise sehr viel mehr Milde walten lässt. Vorwürfe gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich wurden 2008 z.B. vom Regierungssprecher als “eine gezielte Diskreditierung Einzelner” verurteilt. (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/stanislaw-tillichs-ddr-biografie-stueck-fuer-stueck-kommt-das-gedaechtnis-zurueck-a-592657.html). Wolfgang Schäuble machte im selben Jahr Wahlkampf für einen ehemaligen hochrangigen DDR-Grenzoffizier, der Art und Inhalte seines Dienstverhältnisses zunächst durch unspezifische Angaben verschleiert hatte. (https://www.welt.de/politik/article1619145/Schaeuble-macht-Wahlkampf-fuer-DDR-Grenzoffizier.html)

Dass Andrej Holm sich im September 1989 für eine Laufbahn beim MfS entschieden hat, ist für viele, vor allem in der DDR-Aufgewachsene, schwer nachvollziehbar und wird das auch bleiben. Dennoch: Holm hat sich in der Vergangenheit und in den letzten Tagen auf nachvollziehbare, selbstkritische, sachliche und seinen Kritiker*innen gegenüber äußerst respektvolle Weise (siehe z.B.: http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html, oder auch taz 2007) zu seiner DDR-Vergangenheit geäußert und dafür Verantwortung übernommen. Die Teils mit äußerst unlauteren Mitteln und ideologischen Kampfbegriffen geführte Kampagne gegen ihn lässt sowohl den nötigen Respekt gegenüber den gern zitierten Opfern des DDR-Unrechts (die hier wieder einmal ungefragt und oft entgegen ihren eigenen politischen Ansichten zu dem Thema instrumentalisiert werden) vermissen, als auch jede Verhältnismäßigkeit in ihren Verurteilungen und den daraus abgeleiteten Konsequenzen.

Es bleibt zu hoffen, dass Holm in den kommenden Tagen und Wochen nicht die Gelegenheit entzogen werden wird, sich – anstatt an einer 26 Jahre zurückliegenden Entscheidung – anhand seines nun anstehenden Handelns als Staatsekretär für Wohnen messen zu lassen. Alles andere wäre ein Sieg der Ideologen und Lobbyisten in der sich in Berlin seit einiger Zeit vollziehenden wohnungs- und stadtpolitischen Katastrophe.