wildes wiederholen. material von unten.

Unser Buch wildes widerholen. material von unten. Dissidente Geschichten aus DDR und pOstdeutschland ist da und kann bei District Berlin bestellt werden. Aufgrund von Covid 19 kann sich die Lieferung etwas verzögern. Ihr könnt das Buch jetzt über press@district-berlin.com vorbestellen und erhaltet das pdf vorab. Die gedruckte Fassung liefern wir sobald wie möglich nach.

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Die Erfahrungen des gemeinsamen widerständigen Lebens in der von jeder utopischen Zukunft gelösten Gegenwärtigkeit der späten DDR harren noch immer einer differenzierten Bearbeitung. Ihre Spuren sind in der Erinnerung der damals Involvierten und in zahlreichen Dokumenten und Materialien in Archiven und Sammlungen aufgehoben. Dieses Buch ist das Ergebnis eines vielstimmigen und transdisziplinären Arbeitsprozesses von Künstler*innen, Autor*innen, Forscher*innen, Kurator*innen, Archivar*innen, Aktivist*innen und weiteren Gesprächspartner*innen im Archiv der DDR-Opposition. Die dort gesammelten Materialien zeichnen ein komplexes Bild individueller und kollektiver Lebenswelten und dokumentieren (Gegen)Entwürfe ökologischer, feministischer und radikal demokratischer Bewegungen von Unten, die sich entlang des Versprechens wie des Scheiterns des Staatssozialismus ausformten.
wildes wiederholen. material von unten geht der Aktualität dieser wenig gehörten Geschichten nach, um sie mit Begriffen und Praktiken des Politischen heute in Dialog zu setzen. Das Buch versammelt künstlerische und politische Zugänge zu Archiv und Erinnerung aus kritisch-postsozialistischen, queer*feministischen, linken, Schwarzen, postmigrantischen und intersektionalen Perspektiven. Die Positionen, aus denen heraus Geschichte erlebt, begehrt und erzählt wird – ihre Situiertheit in Körpern, Sprachen und Ökologien – sind Teil jeder Erzählung.

 

Beiträge: Alex Gerbaulet + Mareike Bernien, Anna Zett, Elsa Westreicher, Elske Rosenfeld, Ernest Ah + Sabrina Saase + Lee Stevens vom Kollektiv der Raumerweiterungshalle, Ina Röder Sissoko + Suza Husse, Irena Kukutz, Nadia Tsulukidze, Peggy Piesche, Samirah Kenawi, Technosekte + Henrike Naumann und Katalin Cseh-Varga, Maria Josephina Bengan Making, Rebecca Hernandez García, Redi Koobak, Sebastian Pflugbeil, Tim Eisenlohr

Herausgeber*innen: Elske Rosenfeld und Suza Husse

Gestaltung: Elsa Westreicher

Verlag: Archive Books

Eine Archive Books und District*Schule ohne Zentrum Publikation in Kooperation mit der Robert Havemann Gesellschaft e.V. / Archiv der DDR-Opposition. Gesprächspartner*innen im Archiv der DDR-Opposition: Christoph Ochs, Jana Papke, Frank Ebert, Olaf Weißbach, Rebecca Hernandez García, Tina Krone. Dieses Buch ist die erste Manifestation der Reihe Dissidente Geschichten zwischen DDR und pOstdeutschland, gefördert vom Beauftragten zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin.Sprachen: In deutscher und englischer Fassung erhältlich.Preis: 20 €
Versandpauschale: 4 €


INHALT

S 11 Vorwort

S 16 Nadia Tsulukidze: Big Bang Backwards/Urknall Rückwärts
Dokument: Skizze Bühnenbild zur Inszenierung „Die Nebelschlucht“ von John M. Synge
S 40 Ernest Ah, Sabrina Saase und Lee Stevens vom Kollektiv der Raumerweiterungshalle:
gemeinsam unerträglich. ein dokumentarisches mosaik
Dokument: Die private Selbstverteidigungsgruppe stellt ihre Arbeit vor. K., nach S. mit dem Fuß tretend
S 68 Anna Zett: Deponie
Dokument: Urkunde – 40 Jahre DDR
S 86 Elske Rosenfeld: A Vocabulary of Revolutionary Gestures. Versuche, Framed
Dokument: Bärbel Bohley, Niemandsland
S 110 Was vergangen ist, kann einem nicht mehr weggenommen werden
Irena Kukutz im Gespräch, 2009
S 122 Bindungen, die über eine gewöhnliche Freundschaft hinausgingen
Samirah Kenawi im Gespräch, 1999
S 138 Peggy Piesche: Leerstelle (im) Archiv
Dokument: Bericht über die Sicherheit für das Leben ausländischer BürgerInnen in Berlin (Ost) in den letzten Monaten
S 152 Elsa Westreicher: Transparenz, Intimität, Dringlichkeit. Vor ein paar Morgen lagen Meilen zwischen Gestern und Morgen
Dokument: Zerschlagung der Stasi-Struktur Gegen neue Geheimdienste Kein Polizeistaat.
S 176 wildes wiederholen. material von unten. Bilder der AusstellungS 212 Dissidente Geschichten zwischen DDR und pOstdeutschland. Resonanzen und Reflektionen
Elske Rosenfeld und Suza Husse im Gespräch mit Katalin Cseh-Varga, Rebecca Hernandez García und Redi Koobak
S 234 Alex Gerbaulet + Mareike Bernien: Entlang der Silberstraße
Dokument: Pyramiden von Ronneburg (Uranabraumhalden der Wismut AG)S 256 Umwelt im Erweiterten Sinne
Gespräch mit Alex Gerbaulet, Anna Zett, Elske Rosenfeld, Mareike Bernien, Sebastian Pflugbeil, Suza Husse, Tim Eisenlohr und Gästen
S 278 Ich will dass niemand keinen Rest findet der Zeugnis wäre unserer Existenz
Gespräch mit Ernest Ah, Lee Stevens und Sabrina Saase vom Kollektiv der Raumerweiterungshalle, Elske Rosenfeld, Maria Josephina Bengan Making, Peggy Piesche, Rebecca Hernandez García, Samirah Kenawi, Suza Husse und Gästen
S 306 Ina Röder Sissoko + Suza Husse: Longing is my favorite material for engaging holes
Dokument: Lesben in der Provinz
S 330 Technosekte + Henrike Naumann: BRONXX
Dokument: DDR von Unten
S 356 Zu den Autor*innen
Team – Redaktion: Elske Rosenfeld und Suza Husse; Verlegerin: Chiara Figone/Archive Books; Gestaltung: Elsa Westreicher; Lektorat: Nine Eglantine Yamamoto-Masson; Übersetzung: Cordula Unewisse, Wilhelm von Werthern; Transkription: Jil Zepp, Julia Reinl; Korrektorat: Archive Books / Lena Heubusch; Fotografie: Emma Wolf Haugh, Jil Zepp, Suza Husse; Bildbearbeitung: Hannes Wiedemann
© Die Autor*innen, die Herausgeber*innen, Archive Books, District*Schule ohne Zentrum 2019.

Klaus Wolfram: 89er Revolutionär und Verleger

Ich freue mich wahnsinnig, dass dieser unglaublich kluge und wichtige Mensch, Klaus Wolfram, nun endlich ein erstes wichtiges Mal, die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient – hier in einem Gespräch mit Mark Siemons in der FAS.* Ich hatte 2010 und letztes Jahr zusammen mit Jan Wenzel, die tolle Gelegenheit, Wolfram ein zweites Mal zu interviewen

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– wir haben einen kurzen Auszug daraus in “Das Jahr 1990 freilegen” veröffentlicht.

Wolfram war  ein klassischer Dissident, aktiv in einer kritischen marxistischen Gruppe und bis zu seinem Ausschluss Mitglied der SED; 1989 Koordinator der Programmkommission des Neuen Forum und Mitglied im Landessprecherrat des des Neuen Forums. Er gründete Ende 1989 den Basisdruck Verlag mit – der u.a. die neugegründete Wochenzeitung die andere herausgab. Eine Kurzbio mit Links zu Wolfram findet sich hier.

Ich hatte bereits 2010 das ungeheure Vergnügen, Wolfram im Zuge meiner Recherchen zum Verfassungsentwurf des Runden Tischs (> siehe z.B. hier), damals noch in den alten Verlagsräumen in der Schliemannstraße im Prenzlauerberg interviewen zu dürfen. Wolfram war nicht nur maßgeblich an der Formulierung des Verfassungsentwurfs beteiligt gewesen, sondern lancierte mit der Veröffentlichung des Entwurfs bei Basisdruck auch die – letzendlich vergebliche – Kampagne und Unterschriftensammlung um ihn, wie geplant zur Diskussion und Volksentscheid zu stellen. (Mehr dazu hier.)

Im Sommer 2019 war Klaus Wolfram im Vorlauf unseres Treffens zunächst sehr zögerlich gewesen, einem Interview zuzusagen; wie andere aus den linken bürgerbewegten Kreisen der DDR ist er nicht nur sehr zurückhaltend, sondern, so schien mir, auch aufgrund schlechter Erfahrung sehr vorsichtig damit, sich selbst in eine Geschichtsschreibung und eine Gedenkkultur der für viele lebensprägenden Erfahrung 1989/90 einzutragen, der ebendiese Erfahrung immer wieder einhegt, enteignet oder ihr gar mit unverständigem Misstrauen begegnet. Ich würde mich freuen, wenn Wolframs Stimme, solange wir Stimmen wie seine noch haben, beitragen könnte, einen kritischen Diskurs aus ostlinker/ostintellektueller Perspektive Raum zu geben, der uns seit 30 Jahren bitter fehlt und der jetzt nicht nur von jener jungen Generation Ostlinker getragen werden kann und sollte, die diesen Fragen – gottseidank – endlich auch für die größere Öffentlichkeit Gehör verschaffen.

*Wolfram hatte mit seiner Rede an der Akademie der Künste zum Jahrestag des Mauerfalls für einen Eklat gesorgt, der die Anwesenden, offensichlich so automatisch wie säuberlich in begeisterte Ostdeutsche und verständnislose Westdeutsche teilte. Die Rede kann hier nachgelesen werden: https://hoywoy-stories.de/unsere-kuenstlerischen-eliten-eklat-rede-aus-berlin/

Statement for the Future: Documentation

Through a very lucky twist of fate I got to spend the days between the 102nd anniversary of the start of the Russian revolution and the 30th anniversary of the beginning of the end of the East German revolution – 7th to 9th of November – in Bucharest in the company of a bunch of artists and activists, young and old from Bucharest, Budapest, Cluj, Timisoara, Prague, Warsaw, Bratislava, St. Petersburg, Kyiv…

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I was invited to give a “statement for the future” as part of “Upon us all equally” , organised by the tranzit network, in the amazing Sala Omnia/ Former Communist Party assembly hall. You can watch documentation of my 15 min statement, assembled from manifestos, lists of demands, public statements of groups and individuals, dissidents, work collectives, women’s and lesbian and gay organisations from the autumn and winter of 1989/90 here:

Streitkultur im Deutschlandfunk

Im der Sendung Steitkultur im Deutschlandfunk sprach ich mit Dierk Hoffmann (Historiker, leitet ein Forschungsprojekt zur Treuhand am Institut für Zeitgeschichte München – Berlin), zur vermeintlichen Alternativlosigkeit des Werdegangs der Revolution und neoliberalen Transformation Ostdeutschlands.

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Die Ausgangsfrage war: „Das glücklichste Volk der Welt“ – Hält die Freude an?”:

ER: „Ich persönlich habe mich über die Wiedervereinigung eigentlich nie gefreut. Ich gehörte 89/90 zu Leuten, die sich sehr stark mit der Bürgerbewegung identifiziert haben, die damals als erste auf der Straße waren. Und die natürlich nicht für diese Wiedervereinigung demonstriert haben, sondern für einen sogenannten dritten Weg, für einen eigenständigeren und gleichberechtigteren Weg in eine mögliche Annäherung der deutschen Staaten auf Grundlage der Erfahrung des Staatssozialismus und seines Scheiterns. Darüber hinaus denke ich übrt den Begriff „das Volk“ nacht: Wer ist das und wer in diesem Volk konnte sich damals schon auch nicht besonders über die Wiedervereinigung freuen? Ich denke da an die Migrant*innen in Ost und West. Und drittens würde ich gern die Frage stellen, wie glücklich die Leute, die bei der Volkskammerwahl im März angeblich für diese Wiedervereinigung gestimmt haben tatsächlich über den dann eingeschlagenen Weg waren.“

Die Sendung wurde am 9.11. im Deutschlandfunk ausgestrahlt und kann hier nachgehört werden: https://www.deutschlandfunk.de/elske-rosenfeld-vs-dierk-hoffmann-war-die-wiedervereinigung.2927.de.html?dram:article_id=463056

Leseempfehlung: From Hero to Zero

“Wer einer rechten Partei seine Stimme gibt, adressiert politische Interessen an deren Agenda – und muss sich die Zustimmung zu deren Inhalten zurechnen lassen. Dennoch bedarf der Umstand, dass ostdeutsche Männer eine der stärksten Wählergruppen der AfD stellen, einer sozialen und zeitgeschichtlichen Kontextualisierung, die nachvollzieht …

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… wie es zu einer Verschränkung zwischen Mechanismen kultureller Entfremdung und Abwertung mit autoritären und rassistischen Einstellungen und dem entsprechenden Verhalten kommt. Und nicht zuletzt auch welche Folgen es hat, wenn eine größer werdende Gruppe männlicher Wähler in der AfD den Adressaten für die Vertretung ihrer Interessen sieht.”

Nach dem Wahlerfolg der AfD in Thüringen habe ich wieder diverse Artikel gelesen (und andernorts diskutiert), in denen es hieß, es sei nun mal genug mit dem Verstehenwollen, dem Reden und Zuhören. Aus dieser Perspektive ist der Rechtssruck des Ostens hinreichend damit erklärt, es handele sich bei den 24 % AfD-Wählerinnen um Rassisten und Rechtsradikale. Mit der Tatsache, dass sich die Wählerschaft dieser Partei zu großen Teilen aus älteren weißen (ost)deutschen Männern rekrutiere, erübrige sich jede weitere Diskussion; jedes Verstehen wollen heiße zu Entschuldigen oder Verharmlosen. David Begrich zeigt hier, was es hieße trotzdem weiter zu fragen. Ich finde seinen Text ausgesprochen hilfreich.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/from-hero-to-zero?fbclid=IwAR3Hj60BTzW1THIUfvR37lnfQ4MTHeZco08EdHVdIHyNpL36WAyL57SHTo4

Netzwerk Ost

Die Seite http://netzwerk-ost.org/ ist seit einigen Tagen online. Entstanden bzw. am Entstehen im Austausch von Gruppen und Personen, die dieses Gedenkjahr 2019 zum Anlass nehmen möchten, die linke Geschichte der Revolution von 1989/90 und der DDR- und Nachwende-Opposition wieder ins Bewusstsein zu rufen. Ihr findet hier eine tolle Material- und Büchersammlung zum Thema sowie einen Terminkalender mit relevanten Veranstaltungen der beteiligten Initiativen und Personen.

Trau keinem über 45.

Gespräch zu einem Interview mit Wolfgang Engler; Auszüge aus einer Diskussion auf Facebook, 17. Juni 2019:

Elske Rosenfeld: Wolfgang Engler in der LVZ vom 1.6.2019: “Ich hatte eine ganze Reihe von Gesprächen, in Eisenhüttenstadt, Cottbus, Magdeburg,

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wo etliche Leute gesagt haben: ‘Lange haben wir unserer Enttäuschung zurückgehalten, diese große Kränkung in den frühen 90ern, dass wir zwar politische Rechte erobert haben, aber in unserem elementaren Lebensverhältnissen einen Bestimmungsverlust durch den Verlust der Arbeit erlitten haben. Lange haben wir unseren Protest erst der PDS, dann der Linkspartei anvertraut, aber wirklich durchgedrungen ist das erst, als wir einen Schritt weiter gegangen sind.’
Als sie rechts gewählt haben.
Ja. Mit einem Mal kommen die Politiker, kommen Journalisten in die ostdeutsche Provinz. Wissenschaftler kommen in Gruppen, um die Mentalität zu erforschen. Und da sagen die Menschen: ‘Jetzt haben wir die Aufmerksamkeit, die uns lange versagt geblieben ist, jetzt stehen wir im Mittelpunkt des Interesses, jetzt kommen die Probleme auf die Tagesordnung. Das war ungefähr das, was wir wollten.“ Rache ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber es gibt so einen Selbstbestätigungseffekt.’”

BBB: “So unerfreulich die Anlässe sein mögen mit NSU-Komplex und Pegida und dem Aufschwung der AfD, haben sie doch eine Repolitisierung der Gesamtgesellschaft ausgelöst.” Wie bitte – unerfreulich? Nur mal die Fakten Herr Engler: Der Nationalsozialistische Untergrund ermordeten zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin, verübten 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge (Nürnberg 1999, Köln 2001 und 2004) und 15 Raubüberfälle. (Quelle: Wikipedia) Vielleicht ist ja dies das eigentliche Problem solche “Anlässe” als “unerfreulich” zu betiteln.

Elske Rosenfeld: Ja, man würde sich eine angemessenere Wortwahl wünschen.

S: Sehr schwieriges Interview. Den “NSU” als unerfreulich zu bezeichnen, nachdem kurz zuvor Walter Lübcke von einem rechtsradikalen Täter, der sich offenbar in den neunziger Jahren radikalisiert hat, ermordet wurde, ist total daneben. Das ist genau die Verharmlosung des Rechtsextremismus, die ich seit Jahrzehnten im Osten erlebe. In den neunziger Jahren von Sozialarbeitern, Lehrern, Politikern. In Brandenburg. Ich glaube auch nicht an die These der Repolitisierung. Die AfD appelliert an niedere Instinkte, Hass, Rache, Zorn. Da ist nichts konstruktiv.

Elske Rosenfeld: Das stimmt absolut – siehe oben. Ich fand auch schon einige von Englers Aussagen in dem Interview mit Jana Hensel vor paar Monaten schwierig. Ich fand nicht den Artikel an sich, sondern das Zitat, das ich oben gepostet habe, dennoch wichtig. Ich glaube, es bringt einiges auf den Punkt. Ich finde es frappierend, wie wenig die großen Protestwellen im Osten in den 90ern und 2000ern (die interessieren mich persönlich mehr als das PDS-wählen!) ins öffentliche Bewusstsein, auch in ein linkes Bewusstsein vorgedrungen sind. Da war der Protest nämlich ABSOLUT konstruktiv und richtete sich auch an die absolut richtigen Adressaten. Nur wurde das weder wahrgenommen, noch wertgeschätzt/unterstützt, noch hatte es irgendwelche nennenswerten politischen Konsequenzen. Ich bin angesichts dieser Ost-Protestgeschichte ab 1989 ehrlich gesagt fassungslos, wenn der Rechtsruck im Osten jedes Mal wieder mit einem demokratischen Defizit / Unvermögen /Desinteresse der Ostdeutschen begründet wird. Ich bin überzeugt, dass man den Rechtsruck im Osten nicht verstehen wird, wenn man sich nicht diese Aufmerksamkeitsökonomien des Mainstreams aber und vor allem auch innerhalb der deutschen Linken anschaut (die den Mainstream an der Stelle auf frappierende Weise 1:1 kopieren, siehe z.B. Zonengabi) – und das pure Desinteresse, dass hier 30 Jahre lange gegenüber Ost-“Befindlichkeiten” gezeigt wurde, und das bis heute noch dazu absolut salonfähig ist. Das muss man unbedingt besprechen (und ändern). Das ist logischerweise nicht über die AfD, sondern nur gegen sie zu machen. Aber in dieser Gegnerschaft könnten sich schon Energien freisetzen, die der Debatte bislang leider fehlten.

Dass Ostbefindlichkeiten erst mit dem Aufstieg von Pegida und AfD Aufmerksamkeit bekommen (wie in dem Zitat beschrieben) ist ja auch kein Verdienst der AfD, sondern ein Zeichen für das Versagen eben dieser linken und medialen Aufmerksamkeitsökonomien. Das finde ich sehr, sehr bitter.

PS: Danke, S., für die Einladung zu dieser Präzisierung meines postings. Ich hatte eh ein komisches Gefühl, den link zu dem Engler unkommentiert zu posten. Nun ist der Kommentar dazu endlich auch da.

S: Danke für die Präzisierung. Es gab Proteste. Aber bis auf Bischofferode ist fast alles vergessen. Schaffte es auch nie in die Tagesschau, wie es Ost Themen kaum in die großen Medien schafften. Zur Wahrheit gehört aber auch: wenn man versucht hat, vor Ort (Eisenhüttenstadt) über die Erlebnisse und Erfahrungen wurde und wird man abgeblockt. Diese Generation 45 plus holt man jetzt auch nicht mit Quoten oder historische Aufarbeitung zurück. Das muss man für die Jungen machen.

Elske Rosenfeld: Ich habe schon Leute aus der älteren Generation – z.b. in Bischofferode – getroffen, die einen großen Redebedarf zu diesen Dingen haben. Auch zur Treuhand scheint mit der Redebedarf sehr groß. Ich glaube nicht, dass man alle Menschen aus dieser Generation abschreiben kann, soll, muss. Vor allem, weil es ja bei weitem nicht nur AfD-Wählerinnen unter ihnen gibt, sondern auch andere Leute, die diesen Frust und diese Enttäuschungen mit sich rum tragen und mit sich selber ausmachen. Die im übrigen oft auch in der Umbruchsphase und während der Proteste Großes und Wichtiges geleistet haben, was überhaupt nicht gewürdigt wird. Ich finde es essentiell, dass man diese Dinge mit diesen Betroffenen/Zeitzeugen bespricht und aufarbeitet. Anders geht es ja nicht. Die Jungen haben dabei eine Rolle zu spielen, ja, und sie werden diejenigen sein, die neue emanzipatorische Arbeitsweisen aus diesen Erkenntnissen stricken können. Die Protestwellen der 90er sind ja auch ein riesiger Erfahrungsschatz für linke Politiken, der aktuell einfach brach liegt.

Ps: 45 plus? Das sind wir doch selber schon (fast?), liebe S.

S: Genau, 45, so alt werde ich auch bald sein. Und deshalb weiß ich ja, wovon ich rede. Ich bin mit meinem Buch sehr viel unterwegs gewesen, lange bevor es AfD und Co. im Osten gab. Lange bevor sich die breite Masse für die Nachwendezeit interessierte. Die depressive Stimmung war schon damals da. Nicht überall, nicht bei allen. Es gibt ja auch wahnsinnig erfolgreiche Ostdeutsche, die die Chancen genutzt haben. Diesen harten resignativen Kern, der sich in denen neunziger Jahren entwickelte und der jetzt AfD wählt, den erreicht man nicht. Das meinte ich. Und ganz ehrlich: Denkt ihr wirklich, wenn Petra Köpping noch länger durch die Lande zieht mit ihrem Opfer-Ansatz, dann wählen mehr Leute SPD?

Elske Rosenfeld: Die Resignation hat halt Gründe. Und die gilt es aufzuarbeiten. Ich finde das an sich wichtig, ohne schon zu wissen, welche politischen Effekte das zeitigen kann und ob dadurch ein oder 200.000 AfD-Wähler zurückgeholt werden können oder nicht. Eben auch, weil da auch eine emanzipatorische Geschichte und Lebensleistungen dahinter stecken, die uns sonst verloren gehen. Ich habe das Zitat oben aber auch gepostet, weil ich durchaus der Meinung bin, dass die Zuwendung zur AfD bei einem Teil der Leute Gründe hat, die politisch verhandelt werden müssen, auch weil sie sich sonst fortsetzen. Wenn eine Person, wie die oben zitierte, ihren politischen Werdegang von links nach rechts so deutlich begründet, ist das doch keine Resignation sondern eine explizite Aufforderung zur Auseinandersetzung. Mich wundert es ein bisschen, dass du als Journalistin, und Protagonistin der Aufarbeitungszene, das so rigoros ablehnst.

Wenn jetzt eine jüngere Generation Ostdeutscher, die die Sprache und Mittel hat sich und ostdeutschen Themen medial Präsenz zu verschaffen, die ältere Generation, die diese ganzen Kämpfe ausgestanden und Abwertungserfahrungen gemacht hat, abschreibt, oder – wie andernorts gelesen – als nicht zu verstehen exotisiert, wiederholen wir jetzt intergenerationell genau den West>Ost-Move, der die Leute so frustriert hat, und ja, teilweise auch den Rechten in die Arme getrieben hat. Ich fände das wirklich problematisch, und ich glaube nicht, dass wir den Osten irgendwie auch nur einen Zentimeter weiter bringen, wenn wir das nicht (neben den vielen anderen Dingen, die zu tun wären) auch tun. Zwischen Leuten, die resigniert haben und Leuten die “die Chancen genutzt haben” gibt es ja dann auch noch ein ziemlich weites Feld an Nach-Wende Lebenserfahrungen.

Wir treffen auf die Resignation, wenn sie sich verfestigt hat, und kennen in der Regel ihre Vorgeschichte nicht. Ich würde hier dazu tendieren weiterzufragen, auch wenn uns sicher oft der Tonfall nicht gefällt. Der Jammerossi ist auch gemacht worden.

Leseempfehlung: Ost ist nicht Ost

Es zirkurliert ja gerade recht viel zu dem Thema Rechtsruck in Ostdeutschland (was bei mir den paradoxen Effekt hat, dass ich weniger dazu poste). Aber dieser Artikel von David Begrich bringt ein paar Sachen ganz gut auf den Punkt. Insbesondere der letzte Satz:

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“Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung braucht es nicht eine neue Welle medialer Debatten über den Osten, die wieder abebbt, wenn sich die Aufregung um ein Ereignis wieder gelegt hat. Es braucht nicht mehr und nicht weniger als eine Debatte um die Verfasstheit der Demokratie im Osten und die Frage, auf welchen Fundamenten sie steht. Dass dies nicht nur westdeutsche Fundamente sein können, bedarf ebenso der Diskussion wie die Suche nach ostdeutschen Traditionslinien, die den Osten nicht nur nach dem Ebenbild des Westens betrachten.”

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ost-ist-nicht-ost?fbclid=IwAR1-vQFpf8zhkWMYBVv6HqdO0JnE2nJjEm4_K7W4V23aXoPtKlyfWZIeRLk

Bini Adamzcak “1917-1989-2019”

In ihrem Videobeitrag zu unserem Panel “Nach dem Protest“ beim Festival “Palast der Republik” im Haus der Berliner Festspiele erinnert Bini Adamzcak – am Tag des Frauen*streiks, 8.März 2019 – an die verlorenen und verschütteten geschlechterpolitischen Vorschläge bzw. Praktiken der Revolutionen 1917 und 1989 und zieht eine historische Linie von einem Moment des Aufeinandertreffens feministischer / frauenbewegter Traditionen Ost-West zu emanzipatorischen Projekten der Gegenwart.

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Text: Bini Adamzcak
Kamera und Schnitt: Kornelia Kugler

Konzipiert für das Panel: “Nach dem Protest. Der Runde Tisch, sein Verfassungsentwurf, deren Werdegang und Aktualität”
mit Almuth Berger, Tatjana Böhm, Susan Buck-Morss, Bernd Gehrke, Max Hertzberg, Bernhard Schlink
Videobeitrag: Bini Adamzcak
Konzept & Moderation: Kerstin Meyer & Elske Rosenfeld

Leseempfehlung: Zur Kunst Ost

Die Texte zur Kunst haben die Berliner Künstlerin Suse Weber, im Nachgang ihres Heftes zu Diskriminierungen im Kulturbetrieb, um ein Statement aus der Perspektive ostdeutscher Künstler*innen gebeten. In der redaktionellen Einleitung heißt es:

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“In unserer aktuellen Ausgabe 113 versammelten wir viele Stimmen zu den Themen Diskriminierung und Rassismus. Untersuchten wir dabei strukturelle Diskriminierungen in vor allem Kultur- und Kunstinstitutionen, so beachteten wir wenig die deutsch-deutsche Problematik an sich und übersprangen dabei ein wichtiges Kapitel einer immer noch tiefliegenden innerdeutschen Diskriminierung. Liefern wir damit rein westliche Perspektiven? Und wie diskriminatorisch gehen wir selbst vor, wenn wir nun einen „Ex-Ossi-Text als eine Art Perspektiv-Text“ (so die Künstlerin selbst) anfragten?”

Danke für die richtigen Fragen, TzK. Und danke, Suse Weber, für diesen Text. In der Aufarbeitung des Verschwindens der Ostkunst (von vor und nach 1989) aus dem Ausstellungsbetrieb, in den Depots, in den Dichotomien von “offiziell” vs. “nichtkonform”, in der Unintelligibilität ihrer spezifischen Sprache im westlich geprägten Kunstverständnis – gibt es noch reichlich zu tun und zu besprechen und ein guter Anfang ist doch, wenn die Akteurinnen der politischen und kritischen Kunstszenen ins Gespräch dazu kommen, welche blinden Flecken es hier aufzuarbeiten gäbe, und wie diese überhaupt erst, in unseren sonst so auf blinde Flecken sensibilisierten Kreisen, entstehen konnten.

https://www.textezurkunst.de/articles/ost-gleitmittel/?fbclid=IwAR3GMIzZSulOxakXxJnBlICNFuJf6eEkriWE35Kb-G_ZqWbFXkxHTIgbJnI