Netzwerk Ost

Die Seite http://netzwerk-ost.org/ ist seit einigen Tagen online. Entstanden bzw. am Entstehen im Austausch von Gruppen und Personen, die dieses Gedenkjahr 2019 zum Anlass nehmen möchten, die linke Geschichte der Revolution von 1989/90 und der DDR- und Nachwende-Opposition wieder ins Bewusstsein zu rufen. Ihr findet hier eine tolle Material- und Büchersammlung zum Thema sowie einen Terminkalender mit relevanten Veranstaltungen der beteiligten Initiativen und Personen.

“Causa Holm”, FAQ

FAQ zur Holmdebatte, veröffentlicht am 05.04.2017

Hat Andrej Holm gelogen? – Ein Faktencheck

Nach der Bestellung von Andrej Holm als Staatssekretär für Wohnen in Berlin wurde intensiv über seine fünfmonatige Tätigkeit in den Jahren 1989/90 beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seinen Umgang damit diskutiert. Ein von ihm im Zuge seiner Anstellung an der Humboldt-Universität zu Berlin vorgeblich falsch ausgefüllter Fragebogen ist zum Gegenstand einer zum Teil aufgeregt geführten Debatte in Tageszeitungen, Politik und sozialen Medien geworden.

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In diesen Debatten haben viele Vermutungen, Behauptungen und Vorwürfe eine Eigendynamik erhalten und sich zu dem Bild verfestigt, Andrej Holm sei nicht offen mit seiner Stasivergangenheit umgegangen. Von Lügen, arglistigen Täuschungen und Erinnerungslücken ist die Rede. Doch stimmt das überhaupt?

Ein F.A.Q. der AG #holmbleibt-Recherche (Kerstin Meyer, Elske Rosenfeld, Enrico Schönberg)

Kompletter Text unter:

http://wirbleibenalle.org/?cat=915

Zur “Causa Holm”, Gespräch am 29.1.2017

Audio: Diskussion „Eine unlautere Debatte“ – Wolfhard Pröhl und Peter Neumann zur Debatte um Andrej Holm // vom 29.01.2017

> Link zum Audiomitschnitt unseres Zeitzeugengesprächs mit Wolfhard Pröhl und Peter Neumann im besetzten Institut für Sozialwissenschaften an der HU (mit Kerstin Meyer und Enrico Schönberg)

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Beide waren beteiligt an der Auflösung von Stasi-Strukturen 1989/90 und in der Nachwendezeit. Peter Neumann war Mitglied der Projektgruppe zur Stasi-Auflösung in der Verwaltung für Inneres in Berlin und Wolfhard Pröhl beteiligte sich an der Stasi-Auflösung in Dresden. Beide positionierten sich sehr eindeutig in der Debatte um Andrej Holm. In der Veranstaltung vom 29.01.2017 beschreiben sie den Umgang mit Stasimitarbeitern und IMs zum Ende der DDR und erklären, warum es ihnen in der aktuellen Debatte so leicht fällt, für Andrej Holm Position zu beziehen.

Zur “Causa Holm”, Teil 1

Text mit und für Bizim Kiez zur “Causa Holm” vom 20.12.2016

Bizim Kiez hat sich als Mitunterzeichner des Offenen Briefs der stadtpolitischen Initiativen bereits öffentlich mit Andrej Holm solidarisiert. Hier haben einige von uns noch einmal ein paar der Argumente, die gegen Holm vorgebracht werden, unter die Lupe genommen, um aufzuzeigen, mit welchen rhetorischen und ideologischen Mittel hier vorgegangen wird und wer sich in den Anfeindungen der letzten Tage durch besonders extreme Zuspitzungen hervorgetan hat. Gleichzeitig eine Art Presseschau/ aktueller Stand der „Debatte“:

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Die Ernennung Andrej Holms zum Staatsekretär für Wohnen hat das Potential, eine neue Etappe in der Berliner Mietenpolitik einzuleiten. Eine solche Neuorientierung könnte möglicherweise tatsächlich endlich (!) nicht nur für die immobilienwirtschaftlichen Profiteure gefährlich werden, sondern auch einen Bruch mit den bisherigen, von Holm wiederholt kritisierten, Politiken der Berliner Fraktionen bedeuten. Doch bevor Andrej Holm die Gelegenheit bekommt, sich an den bürokratischen und realpolitischen Gemengelagen der Berliner Stadtpolitik die Zähne auszubeißen – im besten Falle nicht ohne positive Effekte für die Lage der ärmeren Berlinerinnen –, muss er nun zunächst den Hürdenlauf durch den üblichen, fast schon reflexhaft errichteten Parcours der jüngeren deutschen Geschichtsaufarbeitung absolvieren – mit ungewissem Ausgang. In der Presse und von Politiker*innen verschiedener Parteien werden vermeintliche wie reale, nachvollziehbare Befindlichkeiten von Opfern des DDR-Staatsterrors und Stasiwillkür ins Feld geführt, um ihn für ein solches Amt als untragbar zu präsentieren und eine Zurücknahme dieser Personalentscheidung zu erzwingen.

Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte hat in den letzten 26 Jahren immer wieder für eine Generalabrechnung mit jeglicher Art linker Praxen oder Positionen herhalten müssen. (Dass sie heute dafür herhalten kann, ist nicht zuletzt leider auch Folge des weitgehenden Desinteresses einer westdeutschen Linken, die das Feld einer ernsthaften, kritischen Auseinandersetzung mit dem Versagen des Staatssozialismus nach und vor 1989 nahezu kampflos der Rechten überlassen hat… das aber nur am Rande.) Entlang jener ideologischen Motive der DDR-Aufarbeitung werden Holm nun also wahlweise oder auch gleichzeitig drei verschiedene Vergehen vorgeworfen, durch die er sich für ein derartiges Amt disqualifiziert habe, und zwar: 1/sein tatsächliches Verhalten 1989, 2/ sein heutiger Umgang mit seiner Vergangenheit und, 3/ sein vermeintlich fehlender Gesinnungswandel seit dem Ende der DDR.

Vorwurf 1 basiert auf der Einschätzung, dass jedwede Mitarbeit bei der Stasi (unabhängig von Alter, familiärem Hintergrund, Dienstgrad, Dauer, oder auch konkreten Formen und Inhalten der Mitarbeit) Personen lebenslänglich für öffentliche Ämter oder Positionen disqualifiziere. (siehe z.B.: https://blogs.faz.net/…/linksruck-der-staatssekretaer-und-…/) Das ist eine Generalverurteilung, die selbst von vielen ehemaligen Dissident*innen so nicht geteilt wird, siehe z.B. Wolfgang Thierses Intervention, in der er die Vorwürfe gegen Holm als „einigermaßen unanständig“ bezeichnet. (http://www.berliner-zeitung.de/…/umstrittener-staatssekreta… und http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vergangenh…/14988788.html)

Punkt 2 ist, zumindest scheinbar, etwas komplexer. Holm hat schon lange ohne Beschönigung und ohne Not oder äußeren Druck über seine MfS-Mitarbeit gesprochen. (vergleiche hierzu das Statement seiner telegraph-kollegen: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/) Vor einer breiteren Öffentlichkeit äußerte er sich hierzu 2007 in einem sehr lesenswerten taz-Interview, u.a. mit Dirk Teschner (http://m.taz.de/!5189906;m/). Nach der Offenlegung seiner Kaderakte wird ihm nun vorgeworfen, bei seiner Selbstauskunft vor seiner Anstellung an der Humboldt-Uni seine MfS-Mitarbeit unzureichend genau bzw. falsch angegeben zu haben. Er hatte hier unter der Rubrik Wehrpflicht seine Ausbildung beim als solches bekannten Stasi-Wachregiment “Feliks Dzierzynski” aufgelistet, eine Stasi-Mitarbeit aber verneint und auf den Eintrag zur Wehrpflicht verwiesen. (siehe dazu Andrej Holms Richtigstellung vom 14.12. 2016, z.B.: http://www.berliner-zeitung.de/25294840 und https://www.taz.de/Andrej-Holms-Stasi-Vergangenhe…/!5364040/). Vorgeworfen wird ihm nun genau genommen, die Ausbildung bei dem Stasi-Wachregiment nicht konform mit der stasiinternen Einordnung seines Dienstverhältnisses bereits als Stasi-Mitarbeit eingestuft zu haben (von der er damals durchaus nicht notgedrungen Kenntnis gehabt haben muss). (http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html). Tatsächlich kommt der Landesbeauftragte des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in einem Tätigkeitsbericht von 2000 aber zu folgendem Urteil: „Der allgemeine Wehrdienst im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ war als Dienst auf Zeit abzuleisten. Während dieser Zeit waren die Wehrdienstleistenden als hauptamtliche Mitarbeiter des MfS registriert, weil das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ eine Struktureinheit des MfS war. … Vor diesem Hintergrund vertritt der Landesbeauftragte die Auffassung, dass diejenigen, die lediglich ihren Wehrdienst im Wachregiment ‚Feliks Dzierzynski’ abgeleistet haben, keine wahrheitswidrige Aussage machen, wenn sie die Frage nach einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS im Zusammenhang mit einer Einstellung im öffentlichen Dienst verneinen.“ (http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/2934/tätigkeitsbericht-2000-des-landesbeauftragten-des-freistaats-thüringen-für-die-unterlagen-des-staatssicherheitsdienstes-der-ehemaligen-ddr-gemäß.pdf)

Das ist eindeutig.

Aufschlussreich und zugleich hochgradig ideologisch wird es bei Anschuldigung 3: Robert Ide setzt im Tagesspiegel gleich mal ohne jeglichen Anflug von Scham Anti-Gentrifizierungspolitik (inklusive bestehender Beschlüsse einer demokratisch gewählten Berliner Stadtregierung zur Zweckentfremdung) mit Stasi/Spitzelmethoden gleich: “Wenn nur genügend offiziellen und inoffizielle Mitarbeiter zum verschärften Überwachen und Strafen bereit stehen, könnte so mancher in der Ferienwohnungsindustrie bald aufheulen.”

(http://www.tagesspiegel.de/…/berlins-neuer-st…/14969070.html)

F.A.Z.-Journalist Rainer Meyer vermutet in der FAZ hinter der Personalie Holm und dessen politischem Richtungswechsel eine Wiedereinführung des Staatssozialismus (https://blogs.faz.net/…/linksruck-der-staatssekretaer-und-…/, siehe auch http://www.rbb-online.de/…/cd-mueller-soll-holm-als-staatss…).

Über die Person Holm als „Hausbesetzender Investorenhasser mit STASI-Vorgeschichte” (ibid.) wird eine Kontinuität zwischen Stasiterror und DDR-Unrecht und heutiger linker politischer Arbeit herbeikonstruiert, die von den vielen linken, bzw. jenen links gebliebenen unter den Dissident*innen, Umwelt- und Friedensaktivist*innen der DDR als ein Schlag ins Gesicht empfunden werden muss, von denen sich viele damals wie heute ein mutiges politisches Leben auf der immer wieder, immer noch falschen Seite der politischen Machtverhältnisse zugemutet haben. Eine solche konstruierte Kontinuität wird auch Holms Lebenslauf nicht gerecht, der sich nach 1990 in den bürgerbewegten Kontexten der Vereinigten Linken und des telegraph sicher einige Fragen zu seiner Biographie hat stellen lassen müssen (und, wie es in einer akutellen Stellungnahme des telegraph heisst, auch stellen hat: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/).

Hierzu wäre noch anzumerken, dass die CDU selbst, aus deren Reihen wenig überraschenderweise ein paar der lautesten Anfeindungen Holms kommen, im Umgang mit komplizierten DDR-Biografien der eigenen Mitglieder (wie auch der unrühmlichen Rolle der Ost-CDU als Teil des DDR-Staatsapparats) interessanterweise sehr viel mehr Milde walten lässt. Vorwürfe gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich wurden 2008 z.B. vom Regierungssprecher als “eine gezielte Diskreditierung Einzelner” verurteilt. (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/stanislaw-tillichs-ddr-biografie-stueck-fuer-stueck-kommt-das-gedaechtnis-zurueck-a-592657.html). Wolfgang Schäuble machte im selben Jahr Wahlkampf für einen ehemaligen hochrangigen DDR-Grenzoffizier, der Art und Inhalte seines Dienstverhältnisses zunächst durch unspezifische Angaben verschleiert hatte. (https://www.welt.de/politik/article1619145/Schaeuble-macht-Wahlkampf-fuer-DDR-Grenzoffizier.html)

Dass Andrej Holm sich im September 1989 für eine Laufbahn beim MfS entschieden hat, ist für viele, vor allem in der DDR-Aufgewachsene, schwer nachvollziehbar und wird das auch bleiben. Dennoch: Holm hat sich in der Vergangenheit und in den letzten Tagen auf nachvollziehbare, selbstkritische, sachliche und seinen Kritiker*innen gegenüber äußerst respektvolle Weise (siehe z.B.: http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html, oder auch taz 2007) zu seiner DDR-Vergangenheit geäußert und dafür Verantwortung übernommen. Die Teils mit äußerst unlauteren Mitteln und ideologischen Kampfbegriffen geführte Kampagne gegen ihn lässt sowohl den nötigen Respekt gegenüber den gern zitierten Opfern des DDR-Unrechts (die hier wieder einmal ungefragt und oft entgegen ihren eigenen politischen Ansichten zu dem Thema instrumentalisiert werden) vermissen, als auch jede Verhältnismäßigkeit in ihren Verurteilungen und den daraus abgeleiteten Konsequenzen.

Es bleibt zu hoffen, dass Holm in den kommenden Tagen und Wochen nicht die Gelegenheit entzogen werden wird, sich – anstatt an einer 26 Jahre zurückliegenden Entscheidung – anhand seines nun anstehenden Handelns als Staatsekretär für Wohnen messen zu lassen. Alles andere wäre ein Sieg der Ideologen und Lobbyisten in der sich in Berlin seit einiger Zeit vollziehenden wohnungs- und stadtpolitischen Katastrophe.