Tag: 1989
Das Gewicht der Stimmen: Wie die Bürgerbewegungen 1990 einen Verfassungsentwurf und neue Öffentlichkeiten schufen
Das Gespräch zwischen Klaus Wolfram, Jan Wenzel und Elske Rosenfeld
ist jetzt als HBF Edition #29 erschienen und kann HIER als pdf heruntergeladen werden. Das Heft basiert auf zwei Gesprächen, die ich 2010 und 2020 (mit Jan Wenzel) mit Wolfram geführt habe. Im Gespräch geht es u.a. um Wolframs Arbeit in dem von ihm 1989 gegründeten BasisDruck Verlag, die Zeitung “die andere”, revolutionäre Öffentlichkeiten und die Möglichkeiten und das Scheitern der Revolution von 1989/90.
Zwei fast zeitgleich im telegraph erschienene Texte seien hier noch zur parallelen Lektüre empfohlen:
Eine kurzfristig erscheinende Flugschrift von Wolfgang Rüddenklau zur Frühgeschichte des telegraph, Schwesterblatt der von Wolfram (und anderen) heraugegebenen “anderen zeitung”, mit einigen direkten Doppelungen mit Wolfram’s Erzählung.
und
Thomas Kleins ausführliche und detailreicher Abriss Erinnerungen an eine Revolution oder Geschichte einer Entfremdung, der sich im Bezug auf das Scheitern und innere Zerwürfnis der Bürgerbewegungen und die Kritik der Aufarbeitungsszene gut mit den Geschichten von Klaus Wolfram quer lesen lässt.
Postost Zine
Am 24.9.2020 hatte das Tanzprojekt PostOst in den Berliner Sopiensälen Premiere. Ich habe für das Projekt, gemeinsam mit allen Mitwirkenden Anna Hentschel, Zwoisy Mears-Clarke, Pham Minh Duc, Rike Flämig, Claudia Graue, Yvonne Sembene, Emese Csornai, Martyna Poznańska, Josefine Mühle, Maria Rößler und Elena Polzer ein das Stück begleitendes Zine zusammengestellt, das von Kerem Jehuda Halbrecht gestaltet wurde. Dank an Noa Winter und Melmun Barjachuu für ihre diskriminierungsensible Beratung. Das komplette Zine steht HIER zum Download zur Verfügung. Meine Einführung, eine kurze Intro zu Erfahrungen und Forderungen von Frauen in der Revolution von 1989/90 folgt hier:
Read MorePOSTOST ist ein Zeitenmixer.
POSTOST lässt uns von 2020 in die ferne Zukunft des Jahres 2090 schauen und von 2020 zurück auf das Jahr 1990. Es lässt uns aber auch aus dem Jahr 1990 auf das Jahr 2020 blicken, auf die Welt zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Heftes.
In diesem Heft reagieren die Projektbeteiligten von POSTOST auf je ein Dokument zu Erfahrungen und Forderungen von Frauen[1] in der DDR und aus der Zeit des Umbruchs ab 1987. Ein Ausgangspunkt des Projektes und vieler Beiträge des Zines ist ein Stapel Forderungspapiere von Frauengruppen und Aktivistinnen, entstanden in den Monaten um die Zeitenwende 1989/90. Auch diese Papiere richten sich an eine unmittelbare Vergangenheit und eine sich rasch wandelnde Zukunft.
Frauengruppen hatten sich in der DDR erst wenige Jahre zuvor sowohl in kirchlich-oppositionellen als auch in akademischen und SED-kritischen Kreisen gebildet. Die Frauen für den Frieden z.B. gründeten sich 1982, um sich im Zuge der drohenden Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen gegen die zunehmende Militarisierung des Staates stark zu machen. Andere Gruppen beschäftigten sich, meist unter dem Dach der Kirche, mit feministischer Theologie und Theorie. Ab 1982 entwickelten erste Lesbengruppen, z.B. in der Berliner Gethsemane-Gemeinde, Praktiken der Selbstermächtigung, des Austauschs und der gegenseitigen Unterstützung.
1989 begann mit dem Aufbrechen der verkrusteten Strukturen und der Auflösung des Repressionsapparates der von den Bürgerbewegungen auf den Weg gebrachte Dialog zwischen Staat und Bevölkerung; Formen des Miteinander-Sprechens über alle Belange der sich neu formierenden Gesellschaft explodierten. Frauen begann sich zu organisieren, gründeten landesweit eine Vielzahl neuer Gruppen, die sich ab dem 3. Dezember 1989 im Unabhängigen Frauenverband (UFV) zusammenschlossen, um ihre Forderungen und Vorstellungen besser in den gesellschaftlichen Gestaltungsprozess einbringen zu können. Wenige Tage später, am 7.12.1989, erkämpften sie sich ihren Platz am Zentralen Runden Tisch der DDR, einem Forum der Vermittlung und Entscheidungsfindung zwischen Opposition und Regierung, wo sie u.a. an einem neuem Verfassungsentwurf mitwirkten.
Frauen und Frauengruppen spielten in den wichtigen Foren und Ereignissen der Umbruchszeit oft eine zentrale Rolle. So wurde z.B. die erste Besetzung einer Stasi-Zentrale in Erfurt am 4. Dezember 1989 von einer Gruppe von Frauen um die Künstlerin Gabriele Stötzer in die Wege geleitet.
Das Manifest „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Einige Frauen-Fragen an ein alternatives Gesellschaftskonzept oder: Manifest für eine autonome Frauenbewegung“ wurde von Ina Merkel (lila offensive) beim UFV-Gründungskongress veröffentlicht. Es behauptete eine Spezifik der Erfahrung von Frauen in einem Staat, in dem eine von oben herzustellende Geschlechtergleichheit offizieller emanzipatorischer Anspruch und Grundlage auf Gleichstellung zielender Sozialpolitiken war. Diese staatliche Behauptung von Gleichheit überdeckte in der DDR aber zugleich die Unzulänglichkeiten dieser Politiken in einem ungebrochen patriarchalen System – und machte diese Widersprüche unadressierbar.
Die Forderungen der Frauen richteten sich 1989/90 aber nicht nur gegen die Versäumnisse und den patriarchalen Duktus des sich auflösenden, vergangenen Staates. „Staat machen“ hieß hier vor allem, die Rolle und Stellung von Frauen in einer gemeinsam entworfenen kommenden Gesellschaft ebenfalls gänzlich neu zu denken.
Die erste DDR-weite Lesbentagung am 25.11. 1989 fiel – lange vorher geplant – eher zufällig ebenfalls in genau diese Aufbruchsmonate. Die Fragen auf dem Einladungsschreiben – Wer sind wir? Wie leben wir? Wovon träumen wir? – stellten sich plötzlich auf radikale Weise im Bezug auf alle Aspekte des eigenen und kollektiven (lesbischen) Lebens. In Arbeitsgruppen wurden Erfahrungen, z.B. als lesbische Mütter oder als Lesben mit Behinderung erstmals öffentlich besprochen[2].
Doch bevor sich all diese Fragen gemeinsam in der radikalen Offenheit des revolutionären Augenblicks besprechen ließen, rasten die Zeiten schon weiter, in eine Richtung, die von vielen der aktiven Frauen weder vorhergesehen noch gewollt war. Das Reformprojekt einer demokratischeren, gerechteren, demilitarisierten und feministischeren Gesellschaft geriet gegenüber dem nun auch von westdeutschen etablierten Kräften vorangetriebenen Projekt einer raschen deutschen Einheit – die das westliche Gefüge von Demokratie, Wirtschaft und Geschlechterrollen unangetastet lassen sollte – ins Hintertreffen. Gruppen wie SoFIA (Sozialistische Fraueninitiative AusländerInnen) warnten früh vor den Folgen des wachsenden Nationalismus und Rassismus. Ostdeutsche schwarze und Frauen of Colour engagierten sich in vielen dieser Initiativen und machten hier eigene Erfahrungen, leider auch der erneuten Ausgrenzung und Diskriminierung. In Dresden lud die im Neuen Forum aktive Ina Röder Sissoko Anfang 1991 schwarze Frauen und Mädchen erstmals zu einem Austausch zu diesen Fragen[3]. Organisierungen wie diese begannen in den frühen 1990ern auch andernorts unter dem Druck der zahlreichen Übergriffe bis hin zu Pogromen gegen – meist vermeintliche – Ausländer*innen[4]. Das Fenster der Möglichkeiten eine solidarische, ökologische, feministische, nicht- oder antinationalistische Gesellschaft neu zu denken hatte sich da bereits geschlossen.
Die Forderungspapiere der Frauen, die in den eiligen Wintermonaten 1990 entstanden waren und von der Archivarin und Protagonistin Samirah Kenawi gesammelt wurden, sind Kartierungen sich stetig wandelnder Zukünfte, deren Gestaltungsmöglichkeiten den Aktivist*innen bereits wieder entglitten.
Die am Zentralen Runden Tisch von Mitgliedern des UFV entwickelte Sozialcharta navigiert diesen Zeitraum. Sie liest sich als eine Reaktion auf die Erfahrungen von Frauen in der DDR und gleichzeitig – und vor allem – als Dokument ihrer Befürchtungen und Erwartungen in Bezug auf die kommende Einheit. Mit dem Papier, das als Grundlage der Aushandlung neuer sozialer Strukturen in einem neuen Gesamtdeutschland verstanden werden kann, wollten die Verfasser*innen einerseits jene Formen der Gleichstellung sichern, welche die DDR dem Westen voraushatte, und andererseits die befürchtete soziale, ökonomische, rechtliche Abwertung von Frauen im neuen System verhindern. Aus dieser Charta konnte im Einigungsprozess lediglich – und auch das nur unter dem Druck von ost- wie westdeutschen Frauen – das liberalere Abtreibungsrecht[5] der DDR in das vereinigte Deutschland gerettet werden. Darüber hinaus ist die Zukunft, welche die Frauen in den Papieren entwerfen, nicht eingetroffen. Ihre Ideen und ihre Namen sind heute kaum im öffentlichen Bewusstsein. Was könnte es heißen, diese Ideen heute als Forderungen und Visionen neu ins Spiel zu bringen? Welche Zukünfte laden uns heute, 2020, ein zu imaginieren? Wie ließen sich diese historischen und hochaktuellen Forderungen mit gegenwärtigen queerfeministischen, intersektionalen, ökologischen Feminismen aufmischen, updaten, neu mischen?
Elske Rosenfeld, September 2020
[1] Wir verwenden in diesem Text den im zeitlichen Kontext verwendeten, selbstgewählten und nicht trans-inklusiven, binären Begriff „Frauen“. Einige der damaligen Aktiven identifizieren sich heute nicht mehr als Frauen. Eine Sprache für trans- und nicht-binäre (Selbst)identifizierungen und die damit verbundenen Möglichkeiten stand auch in den oppositionellen Frauen- und Lesbengruppen damals kaum zur Verfügung.
[2] Organisierungen von Menschen mit Behinderung in der DDR sind bislang kaum historisch aufgearbeitet worden; bekannt ist aber z.B. die selbstorganisierte Landkommune um den 2020 verstorbenen Behindertenaktivisten Matthias Vernaldi in Hartroda/Thüringen.
[3] Siehe hierzu das Gespräch zwischen Ina Röder Sissoko und Suza Husse in „Longing is my favorite material for engaging holes“ in Suza Husse, Elske Rosenfeld (Hg.), wildes wiederholen. material von unten. Dissidente Geschichten in DDR und pOstdeutschland #1, 2019
[4] Das Ausstellungsprojekt und Buch Labor 89. Intersektionale Bewegungsgeschichte*n aus West und Ost von Peggy Piesche (Hg.) und Nicola Lauré al-Samarai (Hauptautorin) ist den Erfahrungen und Organisierungen von BIPoC in der DDR und der Transformationszeit gewidmet.
[5] Laut DDR-Recht entschieden Schwangere während der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft allein, ob sie diese austragen oder abbrechen wollten.
wildes wiederholen. material von unten.
Unser Buch wildes widerholen. material von unten. Dissidente Geschichten aus DDR und pOstdeutschland ist da und kann bei District Berlin bestellt werden. Aufgrund von Covid 19 kann sich die Lieferung etwas verzögern. Ihr könnt das Buch jetzt über press@district-berlin.com vorbestellen und erhaltet das pdf vorab. Die gedruckte Fassung liefern wir sobald wie möglich nach.
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Beiträge: Alex Gerbaulet + Mareike Bernien, Anna Zett, Elsa Westreicher, Elske Rosenfeld, Ernest Ah + Sabrina Saase + Lee Stevens vom Kollektiv der Raumerweiterungshalle, Ina Röder Sissoko + Suza Husse, Irena Kukutz, Nadia Tsulukidze, Peggy Piesche, Samirah Kenawi, Technosekte + Henrike Naumann und Katalin Cseh-Varga, Maria Josephina Bengan Making, Rebecca Hernandez García, Redi Koobak, Sebastian Pflugbeil, Tim Eisenlohr
Herausgeber*innen: Elske Rosenfeld und Suza Husse
Gestaltung: Elsa Westreicher
Verlag: Archive Books
Eine Archive Books und District*Schule ohne Zentrum Publikation in Kooperation mit der Robert Havemann Gesellschaft e.V. / Archiv der DDR-Opposition. Gesprächspartner*innen im Archiv der DDR-Opposition: Christoph Ochs, Jana Papke, Frank Ebert, Olaf Weißbach, Rebecca Hernandez García, Tina Krone. Dieses Buch ist die erste Manifestation der Reihe Dissidente Geschichten zwischen DDR und pOstdeutschland, gefördert vom Beauftragten zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin.Sprachen: In deutscher und englischer Fassung erhältlich.Preis: 20 €
Versandpauschale: 4 €
INHALT
S 11 Vorwort
Dokument: Skizze Bühnenbild zur Inszenierung „Die Nebelschlucht“ von John M. Synge
gemeinsam unerträglich. ein dokumentarisches mosaik
Dokument: Die private Selbstverteidigungsgruppe stellt ihre Arbeit vor. K., nach S. mit dem Fuß tretend
Dokument: Urkunde – 40 Jahre DDR
Dokument: Bärbel Bohley, Niemandsland
Irena Kukutz im Gespräch, 2009
Samirah Kenawi im Gespräch, 1999
Dokument: Bericht über die Sicherheit für das Leben ausländischer BürgerInnen in Berlin (Ost) in den letzten Monaten
Dokument: Zerschlagung der Stasi-Struktur Gegen neue Geheimdienste Kein Polizeistaat.
Elske Rosenfeld und Suza Husse im Gespräch mit Katalin Cseh-Varga, Rebecca Hernandez García und Redi Koobak
Dokument: Pyramiden von Ronneburg (Uranabraumhalden der Wismut AG)S 256 Umwelt im Erweiterten Sinne
Gespräch mit Alex Gerbaulet, Anna Zett, Elske Rosenfeld, Mareike Bernien, Sebastian Pflugbeil, Suza Husse, Tim Eisenlohr und Gästen
Gespräch mit Ernest Ah, Lee Stevens und Sabrina Saase vom Kollektiv der Raumerweiterungshalle, Elske Rosenfeld, Maria Josephina Bengan Making, Peggy Piesche, Rebecca Hernandez García, Samirah Kenawi, Suza Husse und Gästen
Dokument: Lesben in der Provinz
Dokument: DDR von Unten
Klaus Wolfram: 89er Revolutionär und Verleger
Ich freue mich wahnsinnig, dass dieser unglaublich kluge und wichtige Mensch, Klaus Wolfram, nun endlich ein erstes wichtiges Mal, die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient – hier in einem Gespräch mit Mark Siemons in der FAS.* Ich hatte 2010 und letztes Jahr zusammen mit Jan Wenzel, die tolle Gelegenheit, Wolfram ein zweites Mal zu interviewen
Read More– wir haben einen kurzen Auszug daraus in “Das Jahr 1990 freilegen” veröffentlicht.
Wolfram war ein klassischer Dissident, aktiv in einer kritischen marxistischen Gruppe und bis zu seinem Ausschluss Mitglied der SED; 1989 Koordinator der Programmkommission des Neuen Forum und Mitglied im Landessprecherrat des des Neuen Forums. Er gründete Ende 1989 den Basisdruck Verlag mit – der u.a. die neugegründete Wochenzeitung die andere herausgab. Eine Kurzbio mit Links zu Wolfram findet sich hier.
Ich hatte bereits 2010 das ungeheure Vergnügen, Wolfram im Zuge meiner Recherchen zum Verfassungsentwurf des Runden Tischs (> siehe z.B. hier), damals noch in den alten Verlagsräumen in der Schliemannstraße im Prenzlauerberg interviewen zu dürfen. Wolfram war nicht nur maßgeblich an der Formulierung des Verfassungsentwurfs beteiligt gewesen, sondern lancierte mit der Veröffentlichung des Entwurfs bei Basisdruck auch die – letzendlich vergebliche – Kampagne und Unterschriftensammlung um ihn, wie geplant zur Diskussion und Volksentscheid zu stellen. (Mehr dazu hier.)
Im Sommer 2019 war Klaus Wolfram im Vorlauf unseres Treffens zunächst sehr zögerlich gewesen, einem Interview zuzusagen; wie andere aus den linken bürgerbewegten Kreisen der DDR ist er nicht nur sehr zurückhaltend, sondern, so schien mir, auch aufgrund schlechter Erfahrung sehr vorsichtig damit, sich selbst in eine Geschichtsschreibung und eine Gedenkkultur der für viele lebensprägenden Erfahrung 1989/90 einzutragen, der ebendiese Erfahrung immer wieder einhegt, enteignet oder ihr gar mit unverständigem Misstrauen begegnet. Ich würde mich freuen, wenn Wolframs Stimme, solange wir Stimmen wie seine noch haben, beitragen könnte, einen kritischen Diskurs aus ostlinker/ostintellektueller Perspektive Raum zu geben, der uns seit 30 Jahren bitter fehlt und der jetzt nicht nur von jener jungen Generation Ostlinker getragen werden kann und sollte, die diesen Fragen – gottseidank – endlich auch für die größere Öffentlichkeit Gehör verschaffen.
*Wolfram hatte mit seiner Rede an der Akademie der Künste zum Jahrestag des Mauerfalls für einen Eklat gesorgt, der die Anwesenden, offensichlich so automatisch wie säuberlich in begeisterte Ostdeutsche und verständnislose Westdeutsche teilte. Die Rede kann hier nachgelesen werden: https://hoywoy-stories.de/unsere-kuenstlerischen-eliten-eklat-rede-aus-berlin/
Statement for the Future: Documentation
Through a very lucky twist of fate I got to spend the days between the 102nd anniversary of the start of the Russian revolution and the 30th anniversary of the beginning of the end of the East German revolution – 7th to 9th of November – in Bucharest in the company of a bunch of artists and activists, young and old from Bucharest, Budapest, Cluj, Timisoara, Prague, Warsaw, Bratislava, St. Petersburg, Kyiv…
Read MoreI was invited to give a “statement for the future” as part of “Upon us all equally” , organised by the tranzit network, in the amazing Sala Omnia/ Former Communist Party assembly hall. You can watch documentation of my 15 min statement, assembled from manifestos, lists of demands, public statements of groups and individuals, dissidents, work collectives, women’s and lesbian and gay organisations from the autumn and winter of 1989/90 here:
Bini Adamzcak “1917-1989-2019”
In ihrem Videobeitrag zu unserem Panel “Nach dem Protest“ beim Festival “Palast der Republik” im Haus der Berliner Festspiele erinnert Bini Adamzcak – am Tag des Frauen*streiks, 8.März 2019 – an die verlorenen und verschütteten geschlechterpolitischen Vorschläge bzw. Praktiken der Revolutionen 1917 und 1989 und zieht eine historische Linie von einem Moment des Aufeinandertreffens feministischer / frauenbewegter Traditionen Ost-West zu emanzipatorischen Projekten der Gegenwart.
Read MoreText: Bini Adamzcak
Kamera und Schnitt: Kornelia Kugler
Konzipiert für das Panel: “Nach dem Protest. Der Runde Tisch, sein Verfassungsentwurf, deren Werdegang und Aktualität”
mit Almuth Berger, Tatjana Böhm, Susan Buck-Morss, Bernd Gehrke, Max Hertzberg, Bernhard Schlink
Videobeitrag: Bini Adamzcak
Konzept & Moderation: Kerstin Meyer & Elske Rosenfeld
1989/90 ist noch nicht vorüber
Diesen Text habe ich für das von mir mitkuratierte Festival “Palast der Republik” geschrieben, das vom 8.3.-10.3.2019 am Haus der Berliner Festspiele stattfand. Der Tagesspiegel, der diesen Text angefragt hatte, hat ihn auf so aufschlussreiche Weise gekürzt, dass ich die Kürzungen hier kursiv gesetzt habe. Sie erzählen auch eine Geschichte.
Read More“Die Revolution von 1989/90 ist in den letzten 30 Jahren zu einer Fußnote von Maueröffnung und Wiedervereinigung geworden. Dabei hat diese Revolution als etwas anderes begonnen und ist weder vollendet, noch abgeschlossen.
Als die Mauer geöffnet wurde, trank Bärbel Bohley einen Cognac und ging schlafen. Sie hatte am Vormittag mit anderen Mitstreitern die erste Pressekonferenz des Neuen Forums abgehalten. Vielen von ihnen erscheint die Maueröffnung als ein Versuch der SED, das aufgebrachte Volk zu befrieden. Zwei Tage später mahnt das Neue Forum: „Ihr seid die Helden einer politischen Revolution, lasst euch jetzt nicht ruhigstellen.“
Diese politische Revolution hatte ab Oktober 1989 als eine rasant anwachsende Massenbewegung Gestalt angenommen. Diese war angetreten, mit den im Umfeld dissidentischer Kreise entstehenden Bürgerbewegungen SED und Regierung den politischen Alleinvertretungsanspruch streitig zu machen. In einem Prozess der radikalen Selbstermächtigung hatten die Menschen auf den Straßen, in Versammlungen, auf der Arbeit, in den Schulen begonnen, die Gegenwart und Zukunft des Landes zu besprechen. Die Bürgerbewegungen boten der Bevölkerung dafür eine Plattform. Für dieses von den Oberen gefürchtete gemeinsame Projekt sollte die abrupte Grenzöffnung tatsächlich zu einer Art Anfang des Endes werden. Viele Menschen begannen sich jetzt anderen politischen Angeboten zuzuwenden, bzw. Angeboten, die schon nicht mehr politisch waren. Aber damit war noch nichts vorüber.
Zwar müssen sich die Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig montags nun, weil sie – aus Protest gegen die nationale Wende – demonstrativ entgegen der Hauptlaufrichtung um den Leipziger Ring laufen, als „rote Socken“ beschimpfen lassen. Aber noch sprechen sich, laut einer Spiegel-Umfrage vom Dezember 1989, 71% der Ostdeutschen für einen Fortbestand der DDR aus. Der von DDR-Intellektuellen initiierte „Aufruf für unser Land“ wird von 1,17 Millionen Bürgerinnen unterschrieben.
Der so folgenreiche Wandel von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“ wurde nicht auf der Straße und nicht im Osten, sondern am 10. November in Hamburg von den Chefredakteuren von Bild und Welt vollzogen. Die Bundes-CDU machte anschließend im Geleit dieser Kampagne wirkungsvoll Wahlkampf. „Selbstbestimmung“, so Peter Radunski, Chef der CDU-Öffentlichkeitsarbeit, kann „nicht das sein, womit das Volk zufrieden gestellt werden kann.“ Die Kohlregierung verhandelte die Konditionen einer raschen Einheit sowieso lieber mit Partnern in der SED-Regierung, als mit den bürgerbewegten Neulingen. Die Bürgerinnen organisierten, all dessen ungeachtet, weiter die Demokratisierung der Institutionen, Medien und Betriebe an Runden Tischen, in Bürgerkomitees und anderen neu geschaffenen Formaten. Die Revolution, als ein Projekt der Massen und von unten, ging weiter und schuf sich ihre Wege.
Auch mit dem durchschlagenden Erfolg der Allianz für Deutschland bei den Volkskammerwahlen war diese Revolution nicht vorüber. Das Wahlergebnis vom 18. März wird heute gern als Blankoscheck für genau jenen Weg zur Einheit interpretiert, den diese dann unter westdeutscher Federführung einschlug. Parlamentarische Entscheidungen und Bevölkerungsmeinung gingen in Sachfragen, z.B. zur Notwendigkeit einer Verfassungsdiskussion, jedoch teils nachweislich weit auseinander. Auch die Verhandlungen zur deutschen Einheit blieben bis zu ihrem Ende von dem hartnäckigen Bemühen ostdeutscher Akteure geprägt, wenigstens einige der u.a. an den Runden Tischen entwickelten ökologischen und basisdemokratischen Vorschläge und soziale Aspekte der DDR in ein vereintes Deutschland einzubringen. Der Wunsch nach Eigenständigkeit der neuen DDR-Regierung, ihr „idealistischer Grundton“ – wie es in einer Notiz des Bundeskanzleramts heißt -, ihr Streben nach einer „gerechten internationalen Wirtschaftsordnung“ stießen bei der Bundesregierung weder auf Gegenliebe noch auf nennenswerten Verhandlungsspielraum.
Während die Volkskammer am 20. September 1990 im Palast der Republik den Einigungsvertrag annahm, versammelten sich draußen Bürgerrechtler an einem Runden Tisch, bestehend aus einer Kabeltrommel der von Entlassungen bedrohten Kabelwerke Oberschöneweide.* Am 3. Oktober luden bürgerbewegte Gruppen zum Protest gegen den neuen Visumszwang an die polnische Grenze. Am 4. November forderte ein „Runder Tisch von Unten“, die politische Selbstermächtigung der Bürgerinnen von 1989 nun auch als eine soziale und wirtschaftliche umzusetzen. Als Ende November die Polizei in der Mainzer Straße einrückte, stellten sich Bürgerrechtler, darunter Bärbel Bohley, in den Weg der Wasserwerfer. Aber selbst mit dem politischen Kapital ihrer Namen konnten sie die Räumung der besetzten Häuser nicht verhindern.
Dennoch wirkte der Impuls der revolutionären Selbstermächtigung noch lange fort, nachdem die Politik den demokratischen Gestaltunganspruch der Ostdeutschen mit dem Treuhandgewordenen Credo des „wirtschaftlichen Sachzwangs“ für obsolet erklärt hatte. Der Wunsch über die eigene Zukunft selbst zu entscheiden manifestierte sich in den über 1000 Anti-Treuhand-Protesten, Streiks und Betriebsbesetzungen der frühen 1990er Jahre, ebenso wie in den 1991 zunächst gegen Betriebsschließungen und 2004 gegen die Hartz-IV-Gesetze wieder aufgenommenen ostdeutschen Montagsdemos.
Nachdem die Geschichte von 1989/90 aber einmal als Erfolgsstory von Mauerfall und Wiedervereinigung festgeschrieben worden war, waren diese Momente nicht mehr als Fortsetzung einer 1989 begonnenen emanzipativen Bewegung zu erkennen. Aus dem kollektiven Bewusstsein Ost wie West sind sie seither so gründlich verschwunden, dass der Rechtsruck Ostdeutschlands heute oft ausgerechnet mit einer „Demokratieunfähigkeit“ der Ostdeutschen erklärt wird.
Für die Erfahrung der Selbstermächtigung, die Erinnerung an das Uneingelöste der Revolution von 1989/90, fehlt uns heute die Sprache. Wir, die diese Revolution erlebt und mit getragen haben, nennen unsere damaligen Vorstellungen „naiv“, jede Hoffnung, etwas anderes als die Geschichte, wie sie dann eintrat und gemacht wurde, sei möglich gewesen, scheint uns „utopisch“. Als Künstlerin suche ich diese, auch meine Erfahrung von 1989 jenseits etablierter Erzählmuster z.B. in Dokumenten aus jener Zeit, die ihre eigene Sprachlichkeit in sich tragen. Ich suche sie auch in den Körpern der Menschen, in denen die Erfahrung des Herbstes 1989 unter den auf sie hinaufgeschichteten Erzählungen archiviert ist: als eine freudige Erregung, ein Aufleuchten der Augen, das sich beim Erinnern Bahn bricht. Auch wenn unsere Begriffe des politisch Möglichen keine Worte für sie bereithalten, wissen unsere Körper, dass eine andere mögliche Zukunft auf den Straßen, in den Versammlungen, an den Runden Tischen 1989/90 bereits ein Stück Realität angenommen hatte.
Mit dem Festival „Palast der Republik“, bei dem ich als Kuratorin mitwirke, möchten die Berliner Festspiele nun eine Revision und Ergänzung des Erzählens über 1989/90 anregen. Wir wollen mit damals Beteiligten über ihre Visionen eines gemeinsam organisierten Zusammenlebens sprechen. Warum und wie fokussierten diese genau jene Fragen – der Ökologie, der radikalen Demokratisierung, der sozialen und globalen Gerechtigkeit –, welche die ab 1990 neu formierte Gesellschaft heute am deutlichsten herausfordern? Wir wollen, gemeinsam mit internationalen Künstlern, Theoretikerinnen, Aktivisten einen politischen Erfahrungsschatz heben, der in der Erzählung von Mauerfall und Wiedervereinigung verschwindet – den wir 2019 aber gut brauchen können. Die Revolution von 1989/90 hat gerade erst begonnen.”
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*Nachtrag nach Veröffentlichung: Judith Braband, die mir diese wunderbare Geschichte erzählt hat, konnte den Runden Tisch vor der Volkskammer inzwischen anhand ihrer Unterlagen noch genauer – und anders – datieren: Er fand am 21.6.1990 statt.
Pictures that refuse to go back inside
I dug out an old text of mine for F-stop journal. It is based on a talk I gave at “Narrating the Arab Spring” in Cairo, February 2012. I still very much like it. You can find and read it here: https://f-stop-leipzig.de/de/journal/pictures-that-refuse-to-go-back-inside/.
Ich sehe, wie du mich (nicht) siehst.
Es ist mir in den letzten Jahren in Berlin ein paar mal passiert, dass mich britische oder amerikanische Touristinnen, die mich auf der Suche nach irgendetwas ansprachen, als Einheimische einordneten und sogleich nicht mehr hörten.
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Sie hörten wohl, dass ich Englisch mit ihnen sprach und sie hörten wohl auch, was ich ihnen sagte, und mussten gemerkt haben, dass sie, was ich ihnen sagte, gut verstanden. Und doch antworteten sie mir in einfachstem Englisch, sich stets vergewissernd, dass ich ihnen folgen konnte; im Zweifel ließen sie auf ein vermeintlich zu kompliziertes Wort noch eine einfachere Umschreibung folgen. Sie sprachen langsam, sehr laut, und deutlich.
Sie hörten nicht, was man hätte hören können: dass ich die englische Sprache seit vielen Jahren als adoptierte zweite Muttersprache spreche,
eine Zeit lang auch als erste. Sie hörten mich nicht mehr, nachdem sie mich eingeordnet hatten, als nicht-Britin, nicht-Amerikanerin, kurz als Aus-, oder besser, ihnen fremde Inländerin – der die andere Sprache fremd sein musste.
Sie haben mich darin mit sich selbst verwechselt.
Ich bin mir sicher, obwohl ich es nicht überprüfen konnte, dass dieses Menschen waren, die nie im Leben eine zweite Sprache gelernt hatten, die bestenfalls vor vielen Jahren an einem Grundlagenkurs Französisch an der High School oder auf dem College gescheitert waren, erstarrt vor der schieren Unmöglichkeit, der unglaublichen Anmaßung, dass eine andere Sprache für jemanden, der nicht in sie hineingeboren worden war, überhaupt jemals zu begreifen sein könnte. Als ich in den 1980ern in der DDR aufwuchs, gab es so eine Ehrfurcht vor dem Englischen. „Wie man das th korrekt ausspricht, wird man, wenn man die Sprache nicht von Kind auf spricht, niemals lernen. Das schafft die erwachsene Anatomie nicht mehr. Ist der Mund einmal geformt, kann er die fremde Phonetik nicht mehr nachahmen.“
Als mich die Verhältnisse in den frühen 1990ern im neu zusammengeschlossenen Deutschland zu einer vermeintlichen Inländerin machten, erlebte ich Ähnliches, nur auf der Ebene des Sprechens, statt der Sprache.
Die Art und Weise, wie der Westen damals den Osten – quasi rückstandslos – in sich hineinzupassen gedachte, unterscheidet sich, denke ich, nur unwesentlich davon, wie den heutigen Neuankömmlingen begegnet wird. Nur scheint mir heute eine überhebliche Forderung damit verbunden. Damals war es ein überheblicher Großmut.
Man schenkte den Ostlern, sie in den Westen und in sein Sprechen aufzunehmen. Ihre Gegenleistung war nicht, ein Sprechen aufzugeben, an dem sie möglicherweise hätten festhalten wollen. Ihre Gegenleistung war, dass sie qua ihres vermeintlich enthusiastischen Ankommens im Westen schon bewiesen hatten, dass sie ihr Sprechen abzulegen nicht nur bereit waren, sondern, anstelle eines eigenen Sprechens prinzipiell nur eine Leerstelle besaßen, oder bestenfalls etwas, über dessen fundamentale Nutzlosigkeit sie sich mit ihren Gastgebern, den Inländern, bereits im Einvernehmen befanden. Von diesen Neuankömmlingen war kein Widerstand zu erwarten, sondern ein dankbares und williges sich Einfügen.
Boris Buden beschreibt in Zone des Übergangs wie sich die Westler am 9. November 1989 an der Euphorie der Ostler beim Überqueren der Mauer berauschen. Im Glück der Ostler beim Anblick des Westens, erkannten sie einen Glauben an das Versprechen des eigenen Systems, der ihnen selbst seit langem fehlte. In den Blicken der Neuankommenden von heute erblickt der Westen keine Bewunderung, sondern Begehren: den unbedingten Willen, Dinge an sich zu reißen, von denen man selbst immer schon zu wenig hat.
Der Osten war damals gerade durch die Euphorie einer Revolution gegangen. Er hatte eine Art des Sprechens, die Jahrzehnte zuvor mit einem Versprechen einhergegangen war, mit ihrer Glaubwürdigkeit auch jeden Anschein von Natürlichkeit verlieren sehen. Zwischen den Zeilen lesen, eine doppelte Sprache sprechen waren die Soft Skills eines Ostens, in dem die Sprache und das Sprechen im Herbst 1989 schließlich zum Medium und Schauplatz einer unerhörten, kurzzeitigen Selbstermächtigung geworden waren. Mit diesen Erfahrungen kamen die Ostler in den Westen.
Bei meiner ersten Westreise erklärte ein Westverwandter, wie dreist es von den schwarzen Südafrikanern sei, sich plötzlich selber regieren zu wollen. („…gerade erst aus dem Busch gekommen“) Der Verwandte war Manager bei einem Elektronikkonzern in Braunschweig und seine Wände waren mit den Fellen und Köpfen der Keiler behangen, die er in seiner Freizeit selbst erlegt hatte. Bei meiner zweiten Westreise saßen wir bei Freunden der Familie in Düsseldorf am Fernseher und sahen zu, wie die Rumänen die Ceaușescus exekutierten. Danach gingen wir bei einem Ausflug nach Bonn am Bundestag spazieren. Alles sah exakt so aus, wie wir es aus den Westnachrichten kannten. Die dritte Reise war eine Klassenfahrt nach Bamberg, auf Einladung des Lion’s Clubs. Der Vorstand der örtlichen Sparkasse berichtete uns von den Vorzügen der firmeneigenen Sozialversorgung. Das ganze Dutzend Herren vom Vorstand war vor den Kopf gestoßen, als eine von uns fragte, warum es denn im Vorstand keine Frauen gäbe. Das war die Zeit, in der wir in der Schule mit unseren Lehrern darüber redeten, aus welchen Gründen sie in die Partei eingetreten waren, und ob es besser sei, nun konsequenterweise in selbiger zu bleiben oder aus ihr auszutreten. Und ob sie meinten, damit Schuld auf sich geladen zu haben. Und wie man mit dieser einen Umgang finden könnte. Der neue, westdeutsche Bürgermeister lud unsere Klasse zu einem Sektempfang ins Rathaus ein, zur Eröffnung einer Ausstellung, die uns auf Bildtafeln erklärte, warum rote und braune Diktatur im Grunde genau das Gleiche seien. Wir nahmen den Sekt und fuhren Paternoster. Der Westen war uns nicht fremd. Er kam uns nur befremdlich vor.
Wenn man als Fremde in etwas ankommt, dass sich als das Normale, das Natürliche setzt, weil es seine eigene Normalität niemals in Frage stellen gemusst hat, ist man im Vorteil. Man kann sehen, wie man als das Andere gesehen wird und wie dieses Anderssein beim Inländer nie das eigene Anderssein, sondern immer nur das eigene Normalsein ins Bewusstsein ruft. Nicht die Kontingenz, sondern das vollständige Einssein mit der Muttersprache. Man sieht, wie das Gegenüber einen nicht sieht, und wie das Gegenüber nicht sieht, dass man auch dieses Nicht-gesehen-Werden sehen kann, und verstehen. Für den Neuankömmling, sind die Inländer unschuldig und transparent wie Kinder. Die „Unschuld in den Gesichtern der Passanten westdeutscher Fußgängerzonen“, hieß das in etwa bei Heiner Müller.
Dieser Text ist auf Einladung des wunderbaren Projekts „Man schenkt keinen Hund“* enstanden, das Unterrichsmaterialien der Deutschkurse für Migrant*innen auf die dort vermittelten Integrationskonzepte befragt. „Man schenkt keinen Hund“ (Christine Lemke in Kollaboration mit Scriptings) versucht über unterschiedliche Zugänge und künstlerische / theoretische Strategien die identitären Diskurse um das Konzept „Integration“ zu befragen und diese hinsichtlich ihrer Ausprägungen in der inhaltlichen, ikonographischen und pädagogischen Gestaltung der Lehrmaterialien für Integrationskurse zu untersuchen. Der Reader zum Projekt, in dem auch mein Text enthalten sein wird, erscheint im Herbst 2018.
Mehr Infos: http://www.scriptings.net/index.php/man-schenkt-keinen-hund/about/