Zur “Causa Holm”, Teil 2

Facebookposting vom 19.01.2017 zur Erklärung von Prof. Dr. Kunst (Präsidentin der HU) zur Entlassung Andrej Holms: Weil Frust going on Verzweiflung produktiv macht, hier meine Einschätzung der Einschätzung von Frau Kunst in Sachen Holm:
Die Präsidentin der HU hat gestern eine “Erklärung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Herrn Dr. Holm” veröffentlicht.

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Die Entlassung wird im 4. Absatz  damit begründet, dass “Herr Dr. Holm die HU hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten hat.”

Im letzten Absatz wird die Begründung um einen weiteren Punkt ergänzt: Die Entlassung wird hier damit begründet, dass:

1/Holm falsche Angaben gemacht habe

2/diese nicht bedaure

3/und auf “Erinnerungslücken” beharre.

Zu den drei Punkten habe ich folgende Anmerkungen:

Zu 3/Ob und an was sich Andrej Holm erinnert, kann außer ihm niemand beurteilen. Es gibt meines Wissens keinerlei Verfahren, durch die sich seine genauen Erinnerungen zum Zeitpunkt der Angaben überprüfen ließen. Es gibt folglich auch keinerlei Art nachzuweisen, dass seine Erinnerungslücken eine Erfindung wären.

Das er auf diesen “beharrt” kann heißen: er lügt, und zwar hartnäckig, oder: er sagt die Wahrheit und kann daher seine Meinung auch nicht ändern.

Ohne besagte hypothetische Verfahren wird hier nicht zu klären sein, welche der beiden Optionen der Wahrheit entspricht. Daraus sollte sich, meines Erachtens ableiten, dass diese Frage nicht zu einer arbeitsrechtlichen Beurteilung des Falls Andrej Holm geeignet ist. Der Fachausdruck heißt, glaube ich, „in dubio pro reo“.

Zu 1/ Als falsche Angabe bewertet Frau Kunst in der Erklärung seine Aussage, im Wachregiment Feliks Dzierzynski Mitglied gewesen zu sein. Da diese nicht der Wahrheit entspräche, handle es sich um eine “arglistige Täuschung”. (Abs. 6)

Tatsächlich absolvierte A.H. seine militärische Grundausbildung laut Stasiakte nicht beim Wachregiment, sondern bei der Wach- und Sicherungseinheit der Bezirksverwaltung Berlin.

Nun ist es so, dass zwischen dem Wachregiment Feliks Dzierzynski und den Wach- und Sicherungseinheiten tatsächlich zahlreiche Überschneidungen gab. So übernahmen beide Diensteinheiten teilweise dieselben Aufgaben, z.B. des Wach- und Sicherungsdienstes. (siehe z.B.: Wikipedia-Artikel zum Wachregiment Feliks Dzierzynski)

Nach einem Befehl vom Juli 1989 (also wenige Monate vor Andrej Holms Beginn seiner Stasi-Ausbildung) sollte zudem die „Schule WSE“ aus der Hochschule des MfS herausgelöst und als Offiziersschule zur Ausbildung für den militärisch-operativen Wach- und Sicherungsdienst in das WR »F. E. Dzierzynski« eingegliedert werden (siehe Roland Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS 1950–1989.Eine organisatorische Übersicht MfS-Handbuch. Hg. BStU. Berlin 2012. S. 402 (http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Publikationen/Publikationen/handbuch_diachrone_wiedmann.pdf?__blob=publicationFile)

Eine Unterscheidung bzw. klare Abgrenzung zwischen Wach- und Sicherungseinheit und dem Wachregiment Felix Dzierzynski scheint also sowohl objektiv, als auch in der von Andrej Holm geschilderten subjektiven Wahrnehmung nicht immer ganz einfach.

Hätte Andrej Holm die HU bewusst täuschen wollen um damit seine Stasi-Mitarbeit, wie es so oft hieß, zu “verharmlosen”, hätte ein Ersetzen der Angabe WSE durch die Angabe Wachregiment Felix Dzierzynski keinen Sinn ergeben. Der Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen behandelte z.B. im Tätigkeitsbericht von 2000 unter „Bewertung des Wehrdienstes beim Wachregiment ‘Feliks Dzierzynski’ bzw. einer Wach- und Sicherungseinheit einer Bezirksverwaltung des MfS beide Einheiten in seinem Jahresbericht als analog (http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/2934/tätigkeitsbericht-2000-des-landesbeauftragten-des-freistaats-thüringen-für-die-unterlagen-des-staatssicherheitsdienstes-der-ehemaligen-ddr-gemäß.pdf ). Im Bericht heißt es dort weiter: “Vor diesem Hintergrund vertritt der Landesbeauftragte die Auffassung, dass diejenigen, die lediglich ihren Wehrdienst im Wachregiment ‚Feliks Dzierzynski’ abgeleistet haben, keine wahrheitswidrige Aussage machen, wenn sie die Frage nach einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS im Zusammenhang mit einer Einstellung im öffentlichen Dienst verneinen. Analog einem Wehrdienst im Wachregiment des MfS ‚Feliks Dzierzynski’ wird vom Thüringer Landesbeauftragten der Wehrdienst in der Wach- und Sicherungseinheit einer Bezirksverwaltung (BV) des MfS gewertet.” (S. 16)

Ähnlich urteilt Wolfhard Pröhl im Telegraph zur damaligen Einschätzung zu Menschen mit einem solchen Dienstgrad und Dienstdauer durch mit der Stasiauflösung betraute DDR-Bürgerrechtler. http://telegraph.cc Die Behauptung, es läge eine „arglistige Täuschung“ vor, scheint angesichts dieser Ausgangslage fraglich.

Zu 2)

Laut ihrer Erklärung hat Frau Kunst Andrej Holm nicht entlassen, weil er 1989/90 kurz für das MfS tätig war, sie hat ihn auch nicht (nur) entlassen, weil er darüber – ihrer Ansicht nach – im Zusatzfragebogen der HU 2005 falsche Angaben gemacht habe, sondern weil er diese mutmaßlichen Falschangaben nicht bedaure.

Hier dreht sich die Begründungsspirale für Andrej Holms öffentlicher Verurteilung der letzten Wochen noch eine Runde weiter ins Absurde.

Dass Andrej Holm sein Vorgehen im Fragebogen bedauert, setzt voraus, dass er wissentlich falsche Angaben gemacht und betrogen hat, sich also absichtsvoll inkorrekt verhalten hat. Wenn Andrej Holm seine Angaben 2005 nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat, wie er behauptet, würde ein Bedauern keinen Sinn machen. Ob Andrej Holm seine Angaben 2005 nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat, kann weder Frau Kunst noch sonst irgendjemand außer Andrej Holm zweifelsfrei beurteilen (siehe Punkt 3). Es scheint aber angesichts der unter 1) erwähnten Fakten, und in Anbetracht der Einschätzung des Fragebogens durch die einzigen beiden Experten in Sachen Fragebogen, die sich bislang in der Angelegenheit geäußert haben (Wolfhart Pröhl auf http://telegraph.cc und Peter Neumann,(http://www.tagesspiegel.de/berlin/debatte-um-andrej-holm-buergerrechtler-stasi-fragebogen-nicht-mehr-zeitgemaess/19229772.html) in keinster Weise ausgeschlossen, dass Andrej Holm den Fragebogen tatsächlich, nach bestem Wissen (seines damaligen Kenntnisstands) und Gewissen beantwortet hat. In dem Fall ist die Frage einer öffentlichen Bekundung des Bedauerns hinfällig.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass von den genannten Gründen für Holms Entlassung nur einer tatsächlich überprüf- und belegbar ist – die der Falschaussagen. Die beiden anderen Vorwürfe würden nur Sinn ergeben, wenn diese Frage zweifelsfrei zu AH’s Ungunsten entschieden worden, bzw. überhaupt zweifelsfrei entscheidbar wäre.

Die Beurteilung von Holms Angaben als „falsch“ sind zudem stark interpretationswürdig. Eine solche Beurteilung wird heute anhand von Angaben aus Holms Stasiakte vorgenommen, die ihm damals nicht bekannt gewesen sein muss. Die Beurteilung und Einordnung von Holms Status von Seiten und in der Terminologie des MfS wird zum Maß der Wahrheit gemacht. So wird die Arbeit dieser Behörde 27 Jahre nach ihrer Auflösung zum Maß der Beurteilung von Wahrheit und Unwahrheit, und bestimmend für das heutige Schicksal einer Person, gemacht.

Meine Beurteilung stützt sich auf Recherchen einer Gruppe von Interessierten aus diversen Stadtinitiativen.